Peinliche Zahlen für den Minister

Mitten in der Thüringer Affäre um gut bezahlte Neonazi-Spitzel legt Innenminister Köckert den aktuellen Verfassungsschutzbericht vor: Die Zahl rechtsextremistischer Straftaten ist um 65 Prozent von 1.118 auf 1.846 Fälle gestiegen

von LUKAS WALLRAFF

Der Termin war seit langem geplant und ließ sich nicht mehr absagen: Thüringens Innenminister Christian Köckert (CDU) musste gestern in Erfurt den Verfassungsschutzbericht 2000 vorstellen. Eine besonders pikante Aufgabe, nachdem seit einer Woche täglich neue Enthüllungen über die Zusammenarbeit des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz mit führenden Rechtsextremisten bekannt geworden waren. Umso peinlicher für den Minister, dass er auch gestern keine guten Nachrichten verbreiten konnte: So wurden allein im vergangenen Jahr über 1.800 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund begangen, und die Zahl der Rechtsextremisten ist gestiegen.

Das allein wäre keine Sensation – in anderen Bundesländern ist die Lage ähnlich Besorgnis erregend. Aber in keinem anderen Land hat der Verfassungsschutz so viele negative Schlagzeilen produziert wie in Thüringen. In keinem anderen Land wurden so viele ranghohe Neonazis als offenbar gut bezahlte V-Männer enttarnt. Seit NPD-Landesvize Tino Brandt vergangene Woche als Spitzel aufflog, wettern SPD und PDS im Landtag gegen den Minister. „Ohne das viele Geld des Verfassungsschutzes hätte Brandt nicht so effektiv agieren können“, sagte PDS-Fraktionsvize Bodo Ramelow, der „die Grenze zwischen Verfassungsschutz und rechter Szene“ nicht mehr erkennen kann. Die außerparlamentarische grüne Opposition fordert deshalb nicht nur Köckerts Rücktritt, sondern auch gleich die Auflösung des Landesamts für Verfassungsschutz. Das wäre ein „echter Schlag gegen die rechte Szene“, sagte die grüne Landessprecherin Astrid Rothe gestern der taz.

Am Montag hatte der Spiegel den NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt zitiert, der sich zynisch für die Aufbauhilfe durch die Spitzellöhne aus der Landeskasse bedankte: „Die ausgesprochen konstruktive Arbeit des Kameraden Brandt“, so Voigt, habe „sehr dazu beigetragen, dass der Landesverband Thüringen wieder Tritt gefasst hat.“

Die CDU-Regierung ist unterdessen leicht außer Tritt geraten. Auch gestern, bevor er sich auf den Weg zur Pressekonferenz machte, muss die morgendliche Zeitungslektüre für Innenminister Köckert höchst unerfreulich gewesen sein. Diesmal war es wieder die Thüringer Allgemeine, die „Neue Vorwürfe gegen Geheimdienst“ veröffentlichte. Mit ihren Recherchen zum Fall Brandt hatte das Regionalblatt die Spitzel-Affäre erst richtig ins Rollen gebracht. Gestern nun berichtete sie, dass auch der Geraer Bundes-Vizechef der verbotenen Skinhead-Organisation „Blood & Honour“ bis in dieses Jahr hinein als V-Mann bezahlt wurde.

Köckert versuchte sich gestern herauszureden, indem er erklärte, dass der thüringische Verfassungsschutz „zum jetzigen Zeitpunkt keine Spitzenfunktionäre rechtsextremistischer Parteien als Quelle führt“. Zum jetzigen Zeitpunkt, wohlgemerkt.

Was auch immer die Recherchen noch ergeben: Die Zahl rechtsextremistischer Straftaten in Thüringen ist im vergangenen Jahr im Vergleich zu 1999 um 65 Prozent angestiegen. Während 1999 noch 1.118 derartige Delikte registriert wurden, waren es 2000 bereits 1.846. Die Zahl der Fälle, in denen Körperverletzung im Spiel war, hat sich von 38 auf 78 verdoppelt.

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