Fischer holt die Fahnder

Im Streit um die geheime Depesche aus Washington lässt das Auswärtige Amt nach undichter Stelle in eigenen Reihen suchen. Gaddafis Geständnis wahr wohl keins

BERLIN taz ■ Nach sieben Tagen der Dementis ist so viel immerhin amtlich: Es gibt die Depesche Nr. 596. Eine Woche lang hatte das Fernschreiben des deutschen Botschafters in Washington, Jürgen Chrobog, die Politik in Berlin durcheinander gewirbelt, offiziell aber wollte die Bundesregierung nicht einmal die Existenz des Dokuments bestätigen.

Gestern nun verkündete eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes (AA), eine eigens eingesetzte „Task Force“ solle herausfinden, wie die geheime Depesche an die Öffentlichkeit gelangte. Nach AA-Angaben ist dabei auch der Einsatz von kriminaltechnischen Methoden durch Polizeibeamte denkbar.

Gleichzeitig zieht der politische Wirbelwind weiter, den das Papier ausgelöst hatte. Anfangs wurde aus einigen Zeilen Chrobogs ein Geständnis des libyschen Staatschefs Gaddafi herausgelesen, sein Land sei verwickelt in die terroristischen Anschläge auf die Berliner Diskotek La Belle und das PanAm-Flugzeug, das über dem schottischen Lockerbie abstürzte. Inzwischen gilt jedoch als wahrscheinlich, dass es sich bei der Erwähnung von „La Belle“ und Lockerbie um erläuternde Hinweise Chrobogs handelte.

Angeheizt durch Presseberichte steht inzwischen die Frage im Mittelpunkt, ob das Bekanntwerden des Berichts vom Gespräch, das Bundeskanzler Gerhard Schröders mit US-Präsident George Bush in Washington geführt hat, außenpolitischen Schaden angerichtet hat.

Gestern nun gab das AA preis, dass hinter den Kulissen seit Tagen Anstrengungen laufen, den außenpolitischen Schaden durch das Bekanntwerden zu begrenzen. Besonders intensiv war der Kontakt dabei zu den Amerikanern, die unbestätigten Berichten zufolge sehr verärgert über die Indiskretion gewesen sein sollen.

Gespräche mit den Amerikanern „sind in Berlin, aber auch in Washington und zwischen Berlin und Washington geführt worden“, sagte die Sprecherin des AA. Ein Telefonat von Staatssekretär Ischinger mit seinem US-Kollegen Armitage sei dabei der höchstrangige Kontakt gewesen. „Von Kritik ist mir nichts bekannt“, sagte die Sprecherin.

Die „Task Force“ ist besetzt mit Beamten des AA, wobei Beamte anderer Regierungsstellen hinzugezogen werden könnten.

Das AA wollte nicht ausschließen, dass von den Ermittlungen sowohl die Medien FAZ, Spiegel und Focus betroffen sein könnten, die Auszüge des Dokuments veröffentlicht hatten, als auch eine Berliner Anwaltskanzlei, die „La Belle“-Opfer vertritt und nach eigenen Angaben „Kenntnis“ von der Depesche hatte.

Die Suche nach einer undichten Stelle solle sich aber „zunächst“ auf den Personenkreis konzentrieren, der zu den legalen Empfängern der Depesche gehört, hieß es. Dies betrifft womöglich bis zu hundert Personen, da das Schreiben nur auf die niedrigste Geheimhaltungsstufe gesetzt war und inoffiziellen Schätzungen zufolge allein außerhalb des AA an zwei Dutzend Ministerien und Dienststellen gegangen ist. PATRIK SCHWARZ

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