Das Ende der Zersiegelung

Verbraucherministerin Künast hat einen wichtigen Etappensieg auf dem Weg zur Agrarwende errungen: Ab Sommer gibt es ein einheitliches Öko-Siegel

aus Berlin BERNHARD PÖTTER

Im Kühlregal steht die Biomilch neben der konventionellen, in der Vitrine stapeln sich die Würste mit dem Aufdruck „Öko“, und auch beim Waschmittel hat der Konsument die Wahl zwischen Bio und normal. So wie im „tegut“-Supermarkt in Göttingen könnte die Zukunft aussehen, wenn die Pläne des Agrarministeriums wahr werden. Biolebensmittel sollen dann einheitlich mit dem staatlichen Öko-Siegel in den ganz normalen Supermärkten liegen und nicht nur im Bioladen zu haben sein. Die gestrige Einigung auf einheitliche Kriterien für ein nationales Öko-Siegel ist ein Schritt in diese Richtung.

Bio im Supermarkt – das funktioniert, aber es kostet Zeit und Mühe. Das ist die Erfahrung der Supermarktkette „tegut“, die in 330 Filialen in Hessen, Thüringen, Niedersachsen und Bayern ihren Kunden möglichst oft eine ökologische Alternative bietet. Von den 12.000 Lebensmitteln im Sortiment sind 10 Prozent aus kontrolliert ökologischem Anbau. „Wir wollen jedem normalen Produkt ein Bioprodukt an die Seite stellen“, sagt Andrea Rehnert von „tegut“. Das Unternehmen aus Fulda macht mit 7.500 Mitarbeitern einen Umsatz von knapp 2 Milliarden Mark im Jahr und hat sich die Konzentration auf Öko-Produkte über 20 Jahre erarbeitet. „Das lief am Anfang nicht so einfach“, erinnert sich Rehnert. „Man muss die Produzenten und Vertriebswege sichern, die Produkte bewerben und vor allem muss man die Mitarbeiter schulen.“

Das sind Aufgaben, die andere Supermärkte noch vor sich haben. Denn mit dem einheitlichen Öko-Siegel will die grüne Verbraucherministerin Renate Künast der viel beschworenen „Agrarwende“ einen großen Schritt näher kommen. Sie will das Versprechen einlösen, den Marktanteil von Ökoprodukten von derzeit knapp 3 auf 20 Prozent bis 2010 anzuheben. Angelehnt an die Kriterien der EU-Öko-Verordnung (siehe Kasten) soll der Zersiegelung der deutschen Prüfzeichen ein Ende bereitet werden. Die VerbraucherInnen sollen beim Einkauf ein klares Signal bekommen, wofür sie mehr Geld ausgeben sollen. „Es gilt, die Regale zu erobern“, so die Ministerin gestern. „Das Siegel ist gut für den Verbraucher, gut für die Umwelt und gut für die Bauern, die nun wissen, was von ihnen erwartet wird.“

Das neue Öko-Siegel ist Resultat einer konzertierten Aktion. Künast hatte alle Vertreter der Lebensmittelversorgungskette an einen Tisch geholt. Von Bauernverband und Öko-Bauern, von Bioland und Arbeitsgemeinschaft ökologischer Landbau (Agöl) bis zum Verband des Lebensmitteleinzelhandels mit seinen wichtigen Mitgliedern wie Metro und Rewe, von den Verbraucherschützern bis zur Fleischindustrie und den Gewerkschaften einigten sich alle Interessenverteter auf den kleinsten gemeinsamen Nenner: die EU-Kriterien. In den letzten Wochen war hinter den Kulissen heftig um diese Entscheidung gerungen worden. Vor allem die Agöl hatte darauf bestanden, die Kriterien für das deutsche Ökosiegel höher anzusetzen als von der EU-Norm gefordert. Da hatte der Einzelhandel nicht mitgespielt, der auf die EU-Norm drängte.

Doch auch die Marktführer im Öko-Bereich, Demeter und Bioland, waren für ein Siegel auf Basis der EU-Bestimmungen und gegen die Forderung nach „EU plus“. Es dürfe „keine Verwirrung an der Ladentheke“ geben, erklärten die Biofood-Vertreiber. Schließlich, so Thomas Dosch von Bioland, belegen Umfragen, dass die Kunden so wenig Bioprodukte kaufen, „weil sie sich nicht klar sind, ob da jetzt Bio drin ist oder nicht“. Das wird sich nun ändern. Dosch plädiert für das neue Öko-Siegel, denn den Kunden sei nicht nahe zu bringen, dass es ansonsten wieder zwei verschiedene Prüfzeichen geben soll: das ohnehin geltende EU-Siegel und ein mögliches deutsches EU-plus-Zeichen.

Die Nachteile des EU-Siegels sind aus Sicht von Bioland und Demeter nicht so schwer wiegend, dass sie ein Siegel verhindern. So darf das EU-Siegel auch an Betriebe in „Teilumstellung“ vergeben werden: Werden also die Schweine konventionell gehalten und das Getreide nach Öko-Kriterien angebaut, kann das Unternehmen trotzdem das Siegel bekommen. Das fördert die Bereitschaft der Bauern, auf Öko-Betrieb umzusteigen. Zweiter Stein des Anstoßes: Nach dem EU-Siegel dürfen auch Bio-Rohstoffe von außerhalb der EU, also etwa Öko-Rosinen aus der Türkei, in den Produkten verarbeitet werden. Vor allem den großen Lebensmittelketten war dieser Punkt sehr wichtig. Nur so können sie sicherstellen, dass bestimmte Produkte immer verfügbar und nicht von den saisonalen Schwankungen in Europa abhängig sind. Die Supermärkte haben einen Horror davor, etwa im Winter keinen Erdbeerjoghurt im Bio-Regal anbieten zu können. Andererseits geraten dadurch die deutschen Biobauern unter internationalen Preisdruck.

Das neue Siegel soll auch ein neues Logo bekommen, über dem momentan im Agrarministerium die Experten brüten. Klar ist, dass das Ökologische Prüfzeichen (ÖPZ), das bisher von Agöl und der Vermarktungsagentur CMA beworben wird, ersetzt werden muss. „Ein totaler Flop“, urteilen sowohl die Ökoland-Verbände wie auch die Berater von Künast über das ÖPZ, das sich nicht durchsetzen konnte. Wie das neue staatliche Prüfzeichen vergeben und kontrolliert wird, ist noch nicht klar. „Wir wollen das ÖPZ dabei nutzen“, sagte Künast. Auch wenn Experten daran zweifeln, dass die ÖPZ GmbH das neue Siegel schlagkräftig umsetzen kann, muss sie doch mit ins Boot. „Wir brauchen deren Geld“, heißt es intern. Das neue einheitliche Logo soll im Juni vorgestellt werden. Ab Herbst werde das Einheitslogo dann auf den Verpackungen erscheinen, hofft Künast. „Noch nie hat es eine so breite Unterstützung für ein einheitliches Siegel gegeben“, meinte sie.

Thomas Dosch von Bioland weist darauf hin, dass die eingeführten Öko-Marken keine Angst vor der Konkurrenz durch das einheitliche Öko-Siegel haben. „Das neue Siegel ist wie die TÜV-Plakette am Auto. Es garantiert, dass alles sicher ist. Unsere Zeichen sind die Marken. Auch beim Autokauf guckt man ja, ob auf der Kühlerhaube ein Mercedesstern steht.“