SoldatInnen überm Dächermeer

■ Die parmaschinkenverehrende Weserburg-Kulturszene schaut im Güterbahnhof nur sporadisch vorbei. Trotzdem: Von der Presse eher unbeobachtet, haben dort 80 KünstlerInnen in drei Jahren viel erreicht. Jetzt sind „Tage der offenen Ateliers“

Eine Stunde mit einem Haufen KünstlerInnen des Güterbahnhofs flaniert, und schon ist man in die mutmaßlich weltgrößte Ateliergemeinschaft verliebt. Im letzten Jahr konnte die eine weitere Etage des langen Gebäuderiegels angemietet werden. Seitdem werkeln dort in Selbstverwaltung 80 KünstlerInnen. „Die ganze Vielfalt der Menschheit ist hier vertreten“, meint Marikke Heinz-Hoek augenzwinkernd, „auch unter biorhythmischem Gesichtspunkt. Einige arbeiten den ganzen Tag durch, andere am liebsten spätnachts, manche sind zwei Nachmittage pro Woche da, andere fast zu hause hier.“ Irgendwo stapeln sich Klamotten im Regal. Für ein paar Tage ist der Güterbahnhof dauch mal Home und Castle.

Es sind diverse Autodidakten hier, einer davon gelernter Koch, was den Kollegen-Mägen wohl manchmal zu Gute kommt. Im Keller haben die aus den Bunker-Rocker ein Asyl gefunden, unterm Dach probt die Theatergruppe Expressgut. Dann sind da viele HfK-Studies und fast noch mehr HfK-Absolventen, die mit ihren 35 Jahren blendend aussehen, so als wären sie gerade 25 – „Kunst hält fit“.

Die Ateliers von Christian und Elmar trennt gerade mal eine Glaswand. Der eine zeigt auf seinen Bildern z.B. missgelaunte Babys auf futuristischem Kanalsystem elend verwaist, der andere lässt es Rot und Pink auf abstrakter Relieflandschaft krachen. Der krasse Unterschied, finden sie, macht ihre Gespräche nur umso anregender. Und vielleicht werden sie demnächst ganz gezielt und bewusst im Stilrepertoire des anderen räubern.

„In den Bildern des jungen Norman sehe ich manchmal die Bilder der Ateliergenossin Lore“, meint Marikke Heinz-Hoek. „Aber doch stark transformiert“, ergänzt Cordula Schmidt – und beide einigen sich darauf, dass jungen Künstlern eine „Befruchtung“ durch andere nicht schadet. „Aber das heißt ja heute nicht mehr ,befruchten', das heißt ,anturnen'“, meint Schmidt.

Die meisten lieben den Blick über Gleisanlagen und das unendliche Dächermeer der Zughallen. Aber komischerweise hat niemand Lust, das zu malen. „Wahrscheinlich, weil man es täglich vor Augen hat.“ Sie mögen „den Hall in den kilometerlangen Fluren“, dieses Büroambiente mit üblem Neonlicht. Das Gelb der Flurwände war aber doch too much. Und für eine „Flurausstellung“ namens „Kunst für Käufer“ – “da sind wir ganz offensiv“ – wurde gemeinsam Weiß getüncht. „Das fand ich toll.“

Die klassischen WG-Fragen scheinen einigermaßen gelöst. „Du kannst gerne in die Gemeinschaftsküche gucken, ist sauber, das Herrenklo sogar auch einigermaßen.“ Schmidts Atelier gar hat die Ausstrahlung eines Klinik-OPs. Sie ist Fotografin. „Leute, die in technischen Medien arbeiten, schmieren einfach nicht so rum“, meint Heinz-Hoek. „Geht ja nicht anders“ – Schmidt – „jeder Krümel auf einem Fotonegativ wird gedermelt.“ – „Was ist gedermelt?“ – „Mein Privatwort für vergrößert.“ Deshalb hat sie auf den Teppich einen Plastikboden geklatscht. Der Teppich war versifft, aber immerhin graublau. Eigentlich heute wieder in. „Ja, so weit sind wir heute schon wieder.“ Sympathische Plauderstimmung hier. „Und wenn ich für meine eigene Arbeit Know-how an der Videokamera oder am Computer brauche, finde ich es im Haus“, meint Tobias Küch. Zumal in letzter Zeit immer mehr Computer-frickler eingezogen sind.

Thematische Gruppenausstellungen gibt es mindestens einmal im Jahr. Ihre Titel lauten zum Beispiel Judith enthauptet Holophernes, Korrespondenzen, Pamela Anderson Jux, Muschi 2000 – „das war ironisch gemeint“ – „Ach was!“. Das schräge Ambiente gebiert jede Menge heitere, verspielte, angetrashte, schwerelose Kunst – „aber nicht ausschließlich!“

Etwa 3.000 Mark macht die Stadt für Einladungskarten pro Jahr locker, schätzt Marion Bösen. „Wir sind das Schlusslicht.“ – „Aber jetzt sind wir in diese Kartei der Stadt aufgenommen, was bedeutet, dass wir Gelder beantragen können, Marion, wie heißt nochmal diese Kartei?“ „Ach was, beantragen konnten wir schon immer.“ Eine tiefe Auseinandersetzung mit den Abgründen der Bremer Förderkultur hat offenbar nicht stattgefunden. „Wir wollen auch keine Gelder, sonst geht es uns wie dem Künstlerhaus, das erst viel Geld hatte, gekürzt wurde und dann ein Problem hatte.“

Nur eines wird von der Stadt erwartet: dass sie aufhört mit ihren Hochhausplänen für das Areal. „Erst kürzlich war hier wieder ein Vermessungstrupp. Das Viertel blutet aus, die Leute ziehen weg und die Stadt träumt munter von immer neuen Einkaufszentren und Wohngebieten.“ Ihr Verbündeter ist das Asbest auf den Bahnhofsdächern. „Wegen des Asbests müsste man bei der Renovierung laut Umweltauflagen ein gigantisches Zelt über die Anlage stülpen.“ Das ist zum Glück zu teuer.

Die Leute sind gerne hier. Es gibt eine Bewerbungsliste um neue Ateliers, obwohl die Preise eher Durchschnitt sind, 7,67 Mark warm pro qm. „Wer eins hat, behält es.“ Zu Einzelausstellungen in der Haus-Galerie Herold kommen alle drei/vier Wochen etwa so zustande: Irgendwer kommt mit einer Mappe eines Künstlers an, sucht etwa zehn Leute zusammen. Wenn die nicken, passt es. Ein geregeltes Jurysystem will man nicht.

Am Wochenende wird es womöglich zur Nutzung eines Containers als Schwimmbad kommen oder zu einer nächtlichen Bildungsgeschichte. Ein festes Programm gibt es eher nicht. Aber die Wände der 50 geöffneten Ateliers sind schon kunstbehängt und Küch hat extra einen Flokati ausgerollt, damit die Besucher bequem in seinen Mappen wühlen können. Besonders schön sind aber die Details am Rande: die Yucca-Palme in der Druckwerkstatt, in deren Übertopf sich Plastikcowboys bekriegen, und die 2,5m große trojanische (und mopsige) Soldatin im Tarnlook. Eigentlich sind hier alle mutige Krieger. bk

26./27.Mai 12-20h, Tage der offenen Tür und Langzeitfete