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Mit „Marschall Titos Geist“ karikiert der Filmemacher Vinko Brešan das Wiederaufleben des Partisanenkults

„Tito regiert, Mann!“, ruft der bekiffte Reggae-Folk-Sänger dem Marschall nach, der, aufrecht in einem Kahn stehend, übers Meer entschwindet, der Sonne entgegen. So grausig schön endet Vinko Brešans „Marschall Titos Geist“, 97 Minuten einer brillanten Satire auf den jugoslawischen Partisanenkult. Brešans Film schlägt in seinem Heimatland die amerikanische Konkurrenz aus dem Feld. Kein Wunder, denn angesichts der Kriege des vergangenen Jahrzehnts, dem allseits wütenden Nationalismus, der Korruption und dem ökonomischen Niedergang hört man vielerorts „Kehr zurück, Genosse Tito, kehr heim, Kommune!“. Diesen nostalgischen Sehnsuchtsruf nimmt Brešan auf die Schippe, ohne sich im Mindesten mit den neukapitalistischen Verhältnissen in Kroatien zu identifizieren.

Brešans Film führt uns die kurze Schreckensherrschaft von Veteranen der 7. dalmatinischen Partisanenbrigade vor Augen, die diese auf einer von Gott und den Touristen verlassenen Adria-Insel errichten. Sie wurden vom ehemaligen Kommandanten der Einheit gerufen, denn Titos Geist ist auf der Insel erschienen, zuerst einem treuen Häuflein, das einen dahingegangenen Genossen auf sozialistische Art, mit roter Fahne und Gesang, beerdigte. Die Geistererscheinung ist in Wirklichkeit Insasse einer Anstalt und vom Wahn besessen, Tito zu sein. Er sieht im Profil dem großen Marschall ähnlich und beherrscht virtuos das Phrasenregister des Realsozialismus. Natürlich erkennen die Partisanen ihren Irrtum, jetzt wird der arme Irre eingesperrt, darf sich nur am Fenster zeigen, um die Aufmärsche der Dorfbevölkerung huldvoll abzunehmen.

Die Einheimischen sind zwar anfangs von den titoistischen Alterchen eingeschüchtert, die sich aus der historischen Waffenkammer der Insel bedienen. Denn die Partisanen sind zwar gebrechlich, haben das Schießen aber nicht verlernt, und auch nicht die Organisation von Revolutionstribunalen. Ihr Ziel ist es, auf der Insel den Sozialismus zu restaurieren, als Vorbote für ganz Jugoslawien.

Aber bald erkennen die Dörfler die Chancen eines nationalen, später vielleicht sogar internationalen Revolutions-Alterstourismus. Willig restaurieren sie das Revolutionsmuseum, malen Transparente und Parolen, mimen das begeisterte Parteivolk und huldigen dem Führer, angeleitet vom Kneipier Luka, dem Hauptnutznießer der Privatisierungswelle der 90er-Jahre. Nur zwei Personen behalten den Überblick: der Dorfpolizist und die Dorfschullehrerin (Tochter des Verrückten). Sie befreien sich selbst, den armen Tito und kriegen sich natürlich zum Schluss.

Brešans Film hat eine wunderbare Musik, die zwischen schütter gesungener Internationale und reggaemäßig aufgemischtem „Tito, wir folgen dir!“ oszilliert. Im Gegensatz zu Bregović’ Soundtrack für Kusturicas „Underground“ dient diese Musik aber nicht dazu, uns ins Dunkel eines „so wild, so schön und barbarisch sind wir nun mal“ einzutunken. Sie bleibt ironisch, distanziert, wie Brešans ganzer Film, der die Sehnsucht nach dem Heldentum, das noch in jedem von uns steckt, auf liebevolle Weise demontiert.

CHRISTIAN SEMLER

„Marschall Titos Geist“. Regie: Vinko Brešan; Kroatien 1999, 97 Min., ab morgen im Balázs-Kino