Die Organisierte Kriminalität, das ist der Feind

Auf der Tagung „Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden im Zeitalter der Globalisierung“ diskutierten in Berlin europäische, russische und amerikanische Sicherheitsexperten zwei Tage lang über die Bedrohungsszenarien der nächsten Zukunft. Die USA sind pessimistischer als Europa

BERLIN taz ■ Das Böse ist immer und überall. Nach dem Vortrag von Jürgen Storbeck, dem Direktor von Europol, lässt sich ein flaues Gefühl in der Magengrube nicht leugnen. „Multifunktionale kriminelle Konzerne“ greifen nach der Macht, Europas Außengrenzen sind für internationale Schleuserbanden schon lange kein ernsthaftes Hindernis mehr, islamistische Terrorgruppen haben sich in der Bundesrepublik festgesetzt. Keine Entspannung an der Drogenfront und jetzt auch noch „Information warfare“. Anfügen lässt sich noch: die Kriege auf dem Balkan werden durch Drogengeschäfte finanziert. In Großbritannien weisen 60 bis 80 Prozent aller Verbrechen einen Bezug zur Organisierten Kriminalität auf, Russlands private Banken stehen zu 50 bis 60 Prozent unter Kontrollen der „OK“.

„OK“, das ist der Feind, steht für Organisierte Kriminalität. Und OK ist in aller Munde, auch bei der Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. „Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden im Zeitalter der Globalisierung“. Anwesend sind der Koordinator der Nachrichtendienste im Kanzleramt, Ernst Uhrlau, und die Chefs von Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst und Bundesamt für Verfassungsschutz – Klaus Ulrich Kersten, August Hanning und Heinz Fromm. Aus dem Ausland angereist sind der frühere Leiter des sowjetischen Geheimdienstes KGB, Leonid Schebarschin, sowie dessen einstiger Gegenspieler John C. Gannon, früher einmal stellvertretender Leiter der CIA, heute Vorsitzender des „National Intelligence Council“ (NIC).

Gannons NIC hat jüngst eine Studie unter dem Titel „Global Trends 2015“ vorgestellt. Und die verheißen nichts Gutes. Vor allem das Wachstum der Weltbevölkerung wird die nächste Zukunft prägen. Zu 95 Prozent wird dieses Wachstum in den Entwicklungsländern geschehen und die Verbrechenssyndikate, so die Prognose, werden 2015 an der illegalen Migration so viel wie am milliardenschweren Drogengeschäft verdienen.

Über Krieg und Frieden entscheidet auch der Zugang zu natürlichen Ressourcen. So wird der NIC-Studie zufolge in 14 Jahren fast die Hälfte der Menschheit in Ländern mit Wasserknappheit leben. Im Bereich der Weltwirtschaft erwarten die Amerikaner eine besondere Dynamik in Indien und China, beide Länder entwickeln sich zu ökonomischen Giganten. Auch wird die Biotechnologie das Leben revolutionieren – doch neue Medikamente bleiben so teuer, dass sie im Wesentlichen nur im Westen angewendet werden. „Cyber crime“ und „cyber warfare“ werden neue Bedrohungen. Feindliche Staaten können die empfindlichen Infrastrukturen der Informationsgesellschaften angreifen; terroristische Gruppen verüben 2015 biologische und chemische, wenn nicht sogar nukleare Attacken.

Im Vergleich zu diesem US-amerikanischen Bedrohungsszenario ist das der Europäer harmlos. So erwartet der BKA-Chef Kersten vor allem eine zunehmende Bedeutung islamistischer Gruppen. Gefahr drohe von Personen, „die sich dem ‚heiligen Krieg‘ verbunden fühlen und Anschläge gegen die Feinde des Islam zum Ziel haben“. Diese operierten in kleinen Gruppen und „sind über vielfältige Kontakte in das Netzwerk der islamischen Mudschaheddin, so auch um Bin Laden, eingebunden“.

BND-Chef August Hanning wünscht sich einen engen Informationsaustausch unter allen Behörden, die über Deutschlands Sicherheit wachen. Tausend seiner Mitarbeiter will er in eine neue Dienststelle an den Berliner Regierungssitz verlegen. Hanning träumt vom Aufbau einer „sicherheitspolitischen Community“ nach US-Vorbild. Verfassungsschützer Fromm sieht derweil die Aussteiger-Hotline für Rechtsextreme auf bestem Wege: „Ein Viertel aller 400 Anrufer sind Ausstiegswillige.“ Exminister Bahr schwebt über allem und meint, die von den USA geplante Raketenabwehr im All berge die Gefahr eine „sicherheitspolitischen Spaltung Europas“. Europol-Chef Storbeck stellt schließlich fest: Selbst die „Mafia ist nicht mehr typisch“, denn die Organisierte Kriminalität sei längst nicht mehr regional oder lokal gebunden. Am Ende seines Vortrages stellt er die Zuhörer vor die Wahl: „Sie können sagen: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Oder: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Sie können es sich aussuchen.“ WOLFGANG GAST