Ein Wir-Gefühl stellt sich nicht ein

Vor einem Jahr hat Innenminister Otto Schily das „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ ins Leben gerufen. Viele Initiativen sind inzwischen enttäuscht und fühlen sich vereinnahmt, da das Bündnis nicht mehr als eine Absichtserklärung ist

von NICOLE MASCHLER

Stolz verkündet das „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ die jüngsten Mitgliederzahlen: Immerhin 800 Initiativen und Einzelpersonen haben sich seit dem glanzvollen Gründungsakt im vergangenen Mai angeschlossen.

Doch ein wenig wirkt es, als solle Masse die Klasse ersetzen. Denn viele Initiativen sind enttäuscht: „Für uns ist das Bündnis eine Absichtserklärung, keine Arbeitsplattform“, sagt Barbara Simon vom Antirassistisch-Interkulturellen Informationszentrum in Berlin. Das von Innenminister Otto Schily ins Leben gerufene Bündnis, so die Hauptkritik, ist vor Ort nicht präsent. „Wir wollen keine neue Organisation schaffen, sondern die vorhandenen Initiativen stärken“, entgegnet Geschäftsführer Wolfgang Arnold. Gerade kleinere Gruppen hätten kaum Aussicht auf Bundesmittel. Hier sieht Arnold eine Mittlerfunktion: „Wir haben einen Überblick über die Fördermöglichkeiten.“

Das Bündnis selbst hat kein Geld zu verteilen. Mit einem Etat von 1,3 Millionen Mark ist es bescheiden ausgestattet. „Wir verstehen uns nicht als neue Geldverteilungsstelle“, betont Arnold. Ziel sei die Vernetzung vor Ort.

Davon ist das Bündnis weit entfernt: Ein Internetauftritt, das „Lexikon der Initiativen“, sollte einen Überblick geben. Allein, eine eigene Website hat das Bündnis bisher nicht. Wer Informationen sucht, muss das Innenministerium anklicken. „Eine große PR-Kampagne macht keinen Sinn, wenn wir von organisatorischer Seite nicht reagieren können.“ Tatsächlich sind die vier Mitarbeiter der Berliner Geschäftsstelle überfordert. Zwar gab es die Zusage, das Personal aufzustocken. Anfang Juni soll über die künftige Personalausstattung verhandelt werden, sagte Innenstaatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast der taz.

Bei den Initiativen mag sich kein echtes Wir-Gefühl einstellen. „Wir wurden vereinnahmt“, sagt Barbara Simon. Dabei habe es seit der Gründungsveranstaltung vor einem Jahr nur die Anfrage gegeben, ob man nicht eine Internetseite erstellen könne. „Doch für uns sind schon die eigenen Seiten eine Belastung“, sagt Simon. Am heutigen Festakt wird sie nicht teilnehmen – sie sei doch nur „Staffage“.

„Ich würde es sehr bedauern, wenn das Bündnis dem Alltagsgeschäft zum Opfer fiele“, sagt Wolfgang Beutel, Geschäftsführer von „Demokratisch Handeln“ in Jena. Notwendig sei aber, die Geschäftsstelle zu stärken. Das Bündnis müsste seine Beratungsleistung verdeutlichen, findet auch Heinz Lynen von Berg, Geschäftsführer von „Miteinander e. V.“ in Magdeburg.

Das weiß auch Staatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast: „Die Verankerung im öffentlichen Bewusstsein lässt zu wünschen übrig.“ Sie setzt auf eine stärkere Bildungsarbeit, etwa bei Azubis in der Bau- und Metallindustrie.

Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann hatte eine Teilnahme am Bündnis abgelehnt. „Das Bündnis verstellt den Blick auf institutionelle Hintergründe von Rassismus“, sagt er. Der Staat könne von seinen Bürgern keine Zivilcourage verlangen, wenn er selbst mit Sonderbestimmungen wie der Residenzpflicht die Menschenrechte mit Füßen trete. „Die Regierung muss erst einmal ihre Hausaufgaben machen.“