Tanzparty von vorn und von hinten

Traurige Ballnacht: In Sandra Strunz' Inszenierung „Tanzhalle“ dreht sich alles im Kreis  ■ Von Karin Liebe

Tanzhalle: Das Wort riecht nach Damenwahl, Anstandswauwaus und roten Plüschsesseln mit Tischtelefon. Eben nach 50er-Jahre-Mief. In Tanzhalle, dem neuen Projekt von Sandra Strunz, das erst vor ein paar Tagen als Koproduktion mit Kampnagel in Hannover uraufgeführt wurde und jetzt in Hamburg Premiere hatte, schrillen tatsächlich Glocken, der Plüsch ist rot, die Damen dürfen auch mal wählen. Doch das ist nur die eine Seite.

Zwei Facetten einer Ballnacht will Strunz zeigen, die glanzvolle, ritualisierte im Tanzsaal, und die abgestürzte, derangierte im Hinterzimmer. Räumlich ist die Trennung gelungen: Annette Kurz hat zwei Bühnen mit zwei Zuschauerräumen entwickelt, vorne wird im roten Plüschambiente getanzt und getrunken, hinten in der verstaubten Garderobe abgehangen und ausgeflippt. Erst nach der Pause sieht die eine Hälfte der Zuschauer das, was die andere schon längst alles hinter der Drehtür gesehen hat. Die Frage ist nur: Will man wirklich wissen, was auf der anderen Seite passiert ist? Wie bei einem langsamen Walzer dreht sich alles im Kreis, doch es wird einem nicht schwindlig, sondern nur leicht wattig im Kopf dabei.

Zweimal müssen die zwölf namenlosen Darsteller also dasselbe spielen. Ein „Projekt“ nennt Strunz es zu Recht, denn ein Stück im klassischen Sinne ist Tanzhalle nicht. Die Regisseurin erzählt keine Geschichte wie in ihren früheren Inszenierungen auf Kampnagel (Glauser, Lucas, Ich und Mich), hier geht es allein um Stimmungen und Schwingungen: die des Wartens und Ausruhens im Hinterzimmer und die der Hoffnungen und enttäuschten Erwartungen im Tanzsaal.

Barfuß warten die Tänzer hinten auf ihren Auftritt, dösen, gähnen und hängen träge in den Sitzen. Doch dann kommt die gestrenge Garderobiere (Irene Eichenberger) und wirft Plastiktüten voller Schuhe und Strümpfe auf den Boden. Wie die Hyänen stürzen sich alle darauf, probieren an, tauschen miteinander und verschwinden stolz in der Drehtür zum Ballsaal.

Doch wie es im Leben immer so ist: Ein Paar Schuhe fehlt, und eine (Cornelia Kempers), sitzt mit nackten Füßen bald allein im Hinterzimmer und flucht, was das Zeug hält. „Warum hast du mich verlassen. Warum bin ich so verlassen.“ Das sagt nicht die Übriggebliebene, das sagen die Tänzerinnen auf der anderen Seite im Chor. Denn auch im Ballsaal ist ständig eine zu viel und allein. Die Texte aus Ingeborg Bachmanns „Todesarten“-Projekt sind seltsam und traurig und sprudeln unvermittelt aus den Mündern der Tänzer. Sie erzählen von einem Mann, der immer geglaubt hat, er würde vor seiner Frau sterben, und plötzlich Witwer geworden ist, oder von einer Frau, die sich darüber beklagt, dass sie nie vergewaltigt wurde. Immer bleiben es Monologe, die niemand hören will, ein echter Austausch ist nicht möglich.

„Möchtest du mit mir schlafen?“ fragt eine Blondine (Juliane Niemann) im Chill-out-Room jedes männliche Wesen und streckt lasziv die Zunge heraus. Im Ballsaal dagegen gibt sie sich zugeknöpft und schiebt die Hand ihres Tanzpartners ständig von ihrem Hintern weg. Doch auch dort fallen bald die Masken, werden die anfangs gockelhaften und ladyliken Allüren abgelegt. Männer tanzen mit Männern, Frauen mit Frauen, und einmal wiegen sich gar drei zusammen im Takt.

Keine glatten Ballschönheiten sind hier versammelt. Es sind auch rundliche Frauen jenseits der Vierzig dabei. Da guckt der BH aus dem Ausschnitt, Achselhaare sprießen, der Träger vom Ballkleid ist nicht sexy, sondern schlampig verrutscht. Einige Momente an diesem Abend sind rührend, manche überraschend, viele befremdlich, aber insgesamt passiert doch ausgesprochen wenig. Was bleibt, ist das schale Gefühl nach einer ganz normalen Party. Man hat ein paar aufgekratzte, ein paar traurige, ein paar arrogante und ein paar ausfallende Menschen erlebt und niemanden auch nur ansatzweise kennen gelernt. Wie wahr, wie öde.

weitere Vorstellungen: Sa, 26. + So, 27.5., 20 Uhr, Kampnagel, k6