Auf dem Gipfel allen Glücks

Der FC Bayern München gewinnt auch noch das Elfmeterschießen gegen den FC Valencia und sichert sich so zum ersten Mal nach 25 Jahren den so sehr herbeigesehnten Landesmeister-Pokal

aus Mailand MATTI LIESKE

Das Dasein eines Bayern-Fans ist, sieht man einmal von kleineren Rückschlägen wie dem vor zwei Jahren in Barcelona gegen Manchester United ab, ein überaus erfreuliches. Ruhig kann er sich zurücklehnen, sich während der Saison von all den Krisen, Katastrophen und Stürmen im Team der Münchner unterhalten lassen und braucht sich dennoch keine Sorgen zu machen. Er weiß ja: Am Ende wird alles gut. In diesem Jahr sogar besonders gut. Da gab es nicht nur die übliche Meisterschaft auf den letzten Drücker, sondern als Zugabe durch den Sieg im Elfmeterschießen gegen Valencia auch noch den Gewinn der Champions League, der Krone Europas.

Eine Errungenschaft, die den Münchner Bayern, wie der Trainer und Mathematiker Ottmar Hitzfeld exakt vorrechnete, zuletzt vor 25 Jahren vergönnt war. So war es denn auch eine vergnügte Schar, die in der Nacht zum Donnerstag nach erfolgreicher Mission die Straßenbahnen, Busse und Fußwege bevölkerte und der Innenstadt zustrebte, um den Mailänder Domplatz in ein blau-rotes Meer zu verwandeln (die orange gewandeten Anhänger Valencias hatten sich offenbar in die nächstbesten Mauselöcher verkrochen) und dem Alkohol-Ausschankverbot mit guter Laune sowie mitgebrachten Restbeständen zu trotzen. Die meisten waren aber auch schon rechtschaffen müde, von einer langen Saison, der zermürbenden Reise nach San Siro und einem fast zweieinhalbstündigen Spiel. Der Lärmpegel hielt sich daher in Grenzen, nur gelegentlich brachen sich die vor dem Match allgegenwärtigen Lieder von der Suprematie der Bayern noch einmal Bahn. Dann fasste sich doch jemand ein Herz. „Wir hol’n den Landesmeister-Cup und werden deutscher Meister“, schmetterte er nahe der berühmten Scala ungeniert in die Mailänder Nacht. „Haben wir doch gerade!“, wandte jemand ein. Der Sänger blieb unbeirrt: „Nächstes Jahr wieder!“

An diesem Abend mochte man es ihm beinahe glauben. Wenige Stunden zuvor hatten die Schoßkinder des Glücks zu ihrem letzten und kühnsten Coup ausgeholt. Rückstand in der zweiten Minute, doppelter Rückstand auch im Elfmeterschießen, für die Bayern 2001 keine Hürde. „Die Elfmeter sind immer eine Lotterie“, sagte hernach ein deprimierter Héctor Cúper, seines Zeichens Trainer des FC Valencia. Hätten die Spanier beim Bundelsligafinale am letzten Samstag aufgepasst, sie hätten gleich ihre Medaillen für den Vize-Champion abholen können. Auch ohne den sprichwörtlichen Bayern-Dusel überstrapazieren zu wollen: Ein Elfmeterschießen konnten die Münchner in diesem verhexten Jahr einfach nicht verlieren.

Selbst in die Ausführungen von Trainer Ottmar Hitzfeld schlich sich immer wieder die Vokabel „glücklich“ ein, wiewohl er normalerweise den Terminus, man habe „starken Glauben bewiesen“, vorzieht. Das Glück könne man zwingen, hieß die einhellige Formel nach dem Meisterschaftsgewinn, San Siro zeigte, dass dies auch für Europa gilt. Anders als in der deutschen Nationalmannschaft funktionieren die deutschen Tugenden bei den Bayern noch, obwohl kaum deutsche Spieler auf dem Platz stehen. Als alles für Valencia lief, schlugen die Bayern zurück, nach dem schnellen Rückstand antworteten sie mit wütenden Attacken und taten selbst nach dem verschossenen Elfmeter von Scholl etwas, das sie eigentlich gar nicht können: Sie spielten auf Angriff.

„Wenn die beiden defensivstärksten Mannschaften Europas aufeinander treffen“, hatte Valencias Kily Gonzalez vorher goldrichtig analysiert, „dann siegt jene, die zuerst die Initiative ergreift, das Mittelfeld beherrscht und ihre Chancen nutzt.“ Letzteres taten die Spanier mit Mendietas Hand-Elfmeter zum 1:0, dummerweise gaben sie damit aber sogleich Initiative und Mittelfeldbeherrschung auf und konnten sie nach dem Ausgleich nicht wieder erlangen.

Andererseits hatte kein Geringerer als Brasiliens Fußball-Legende Pelé vorhergesagt, dass in diesem Treffen zweier konterfreudiger Abwehrbollwerke derjenige obsiegen würde, der den ersten Treffer erzielt. Unglücklicherweise für Kily und seine Mannen vergaßen sie auch das Kontern oder taten es zumindest so lahm und schlampig, dass niemals Gefahr für das Tor des später von Hitzfeld in den Heldenstatus erhobenen Oliver Kahn entstand. Es entwickelte sich ein Spiel, wie es niemand hatte sehen wollen. Die Bayern bemüht, aber ohne Spielwitz, Valencia, faul und selbstzufrieden auf dem 1:0 hockend wie Dagobert Duck auf seinen Talern. „Nessun dorma“ hatte der Chor der Mailänder Scala vor dem als „große Fußballoper“ angekündigten Finale im prächtigen und mit 75.000 Menschen prall gefüllten Giuseppe-Meazza-Stadion hoffnungsvoll gesungen, doch nach dem Ausgleich durch Effenbergs Handelfmeter (50.) entschlummerte die Partie endgültig.

„Zwei Handspiele, sonst nichts“, hämte die Gazzetta dello Sport, in der gedrechselten Sprache eines Ottmar Hitzfeld klang das nur im Tonfall anders: „In der zweiten Halbzeit gab es einen Qualitätsverlust, der sich auch in die Verlängerung zog.“

Blieb das Elfmeterschießen, bei dem die italienischen Medien dann doch noch einen Grund fanden, warum ausgerechnet diese Bayern den voluminösen Cup geholt hatten. „Man sollte Oliver Kahn mindestens das nächste Oktoberfest widmen“, schlug die Gazetta vor.