Kämpfer in einem vergessenen Krieg

Die Tschetscheninnen Zainap Gaschajewa und Lipkan Basajewa werden mit einem Menschenrechtspreis ausgezeichnet

„Mit meiner Arbeit erfülle ich eine Pflicht gegenüber meinem Volk. Dass sie jetzt so honoriert wird, hat mich überrascht und bewegt“, sagt die Tschetschenin Lipkan Basajewa. „Es ist ein Beweis, dass jemand Anteil an der Tragödie unseres Volkes nimmt.“ Und ihre Landsmännin Zainar Gaschajewa setzt hinzu: „Trotz Freude verspürte ich großen Schmerz. Denn die Welt schweigt weiter, angesichts der Verbrechen, die am tschetschenischen Volk begangen werden.“

Die Nachricht, die diese zwiespältigen Gefühle auslöste, kam unlängst aus Göttingen. Dort werden die beiden Menschenrechtlerinnen für ihr jahrelanges Engagement in Tschetschenien am kommenden Sonntag mit dem Victor-Gollancz-Preis der Gesellschaft für bedrohte Völker ausgezeichnet.

Lipkan Basajewa, 1949 in Kasachstan geboren, kämpft seit 1994 gegen den mörderischen Krieg in ihrem Land. Damals organisierte die promovierte Philologin Demonstrationen und Friedensmärsche und half russischen Soldatenmüttern, ihre Söhne von der Front nach Hause zu holen. Bis zum Beginn des zweiten Krieges im Herbst 1999 arbeitete Lipkan Basajewa unter Präsident Aslan Maschadow im Außenministerium in Grosny.

In dieser Zeit gründete sie die Union der Tschetschenischen Frauen Itschkerias sowie eine Landwirtschaftskooperative zur Selbstversorgung tschetschenischer Kriegswitwen und -waisen. Als die Kooperative bei einem russischen Bombenangriff kurz darauf vernichtet wurde, entschloss sich Lipkan Basajewa zur Flucht. Derzeit lebt sie in der inguschetischen Hauptstadt Nasran und arbeitet im dortigen Büro der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial.

Auch Zainar Gaschajewa engagiert sich seit Ausbruch des ersten Tschetschenienkrieges für Menschenrechte. Die 48-Jährige gründete die Organisation „Echo des Krieges“, die in fast allen tschetschenischen Orten Ansprechpartner hat und als einzige Organisation humanitäre Hilfe leistet. Regelmäßig besucht Zainap Gaschajewa die kriegsgeschüttelte Republik, um Hilfsgüter zu verteilen. Gleichzeitig dokumentiert sie das Geschehen mit Videokamera und Fotoapparat. So ist mittlerweile das umfassendste Archiv über den russischen Völkermord in Tschetschenien entstanden.

Lipkan Basajewa und Zainap Gaschajewa gehören zu den wenigen, denen es immer wieder gelingt, auf tschetschenisches Territorium vorzustoßen. Ihre Arbeit in einem Gebiet, das einer kompletten Nachrichtensperre unterliegt, ist lebensgefährlich. So wurde Zainap Gaschajewa vor einer Woche, bei ihrem letzten Besuch in Grosny, festgenommen und zwei Tage von russischen Soldaten festgehalten. Zuvor war ihre Wohnung in Moskau fünfmal durchsucht, sie selbst vom russischen Geheimdienst vorgeladen und bedroht worden. Auch Lipkan Basajewa ist ständigen Schikanen ausgesetzt. Bei ihrer Abreise vor vier Tagen entsorgte sie noch schnell Dokumente und Zeugenaussagen auf dem Moskauer Flughafen in eine Mülltonne. „Sonst“, sagt sie, „hätte ich meine Deutschlandreise aufs Spiel gesetzt.“

Doch trotz aller Gefahren ist das Engagement der beiden Menschenrechtlerinnen für die tschetschenische Sache ungebrochen. Sie wollen weiter ihre Stimme gegen den Krieg erheben. Ein Echo haben sie jetzt bekommen. BARBARA OERTEL