Atom in Biblis: Weghören statt Anhören

Erörterung des Atommülllagers Biblis geht heute in die zweite Runde. Behörden und Betreiber unvorbereitet

FRANKFURT/M. taz ■ Weitab vom Ortskern in einem kahlen Saal im südhessischen Biblis: Die Bürgerinitiativen bringen sich ihren Kaffee selbst mit, die Herren in den grauen Anzügen werden von ihrem Arbeitgeber, dem Energiekonzern RWE Power AG, per Catering versorgt. Das Erörterungsverfahren über die Errichtung von Interims- und Zwischenlagern für abgebrannte Kernbrennstäbe auf dem Atomkraftwerksgelände in Biblis zieht sich seit Anfang der Woche dahin und geht heute in die zweite Runde. Biblis ist mehr noch als die Anhörungen in Philippsburg und Neckar-Westheim eine Materialschlacht von Juristen und Experten. Rund 10.000 Einwendungen liegen vor.

Verhandlungsleiter Bruno Thomauske vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), das für die Genehmigung des Standortes zuständig ist, ist mittlerweile ungeduldig und hält die Redner kurz. Meist trifft es die Sprecher der Bürgerinitiativen und Verbände der Atomkraftgegner, die durch präzise Fragen zeigen, dass sie seit Jahrzehnten mit Biblis vetraut sind.Vor allem der Block Biblis A ist als Pannenreaktor berüchtigt und stand schon 1999 wegen gravierender Sicherheitsmängel kurz vor der Stilllegung. Die Gegner haben 36 Kritikpunkte an dem provisorischen Interimslager und dem geplanten Zwischenlager für 135 Castor-Stellplätz zusammengetragen. Beide Lager sollen laut Atomkonsens zwischen Bundesregierung und Betreibern bis zur Fertigstellung eines Endlagers, also möglicherweise jahrzehntelang, genutzt werden und Transporte spätestens ab 2005 überflüssig machen.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und das Hessen-Baden-Plenum wollten am Mittwoch mit den Behörden die möglichen Folgen von Erdbeben, Hochwasser, Überschwemmungen, Flugzeugabstürzen und Angriffen durch Attentäter erörtern. Doch die Einwender mussten ausweichende Antworten der Betreiber und die fehlende Untersuchung von RWE und BfS über die Folgen eines Flugzeugabsturzes und eines dadurch ausgelösten Großbrandes in Kauf nehmen. BBU-Sprecher Eduard Bernhard nannte dies „einen eklatanten Mangel“.

Informationsverweigerung sowie mangelnde Fachkunde und Zuverlässigkeit werfen die Gegner des Zwischenlagers daher den Behörden vor. Das BfS entschuldigte die fehlende Studie mit dem frühzeitigen Anhörungstermin und sagte eine Überprüfung zu. Mit dieser Erörterung regte sich erstmals nennenswerter Widerstand nicht nur in den umliegenden Kommunen und Kreisen, sondern auch bei den 8.000 Einwohnern in Biblis. Eine Fraueninitiative sammelte 1.200 Unterschriften, und auch der Ortsbürgermeister lehnte die Lager vor Ort für die Gemeinde ab. Damit nimmt Biblis die Position der derzeitigen hessischen und der bayerischen Landesregierung auf, die ebenfalls gegen die dezentrale Lagerung des Atommülls prostestierten und die Brennelemente weiter zentral in Ahaus und Gorleben abladen wollen. HEIDE PLATEN