Günaydin, schönste Stadt

„Die Zeit ist reif“: Das türkisch-deutsche Morgenmagazin „Oriental Sabah“ im Offenen Kanal ist ein voller Erfolg. Für ein Vollprogramm fehlt nur die Frequenz  ■ Von Heike Dierbach

„Ey, Murat, weißt du, was lustig ist? Cep telefonunu taklit eden kuslar (dt.: Vögel imitieren Handy-Klingeln). Abgefahren. Die Meldung nehmen wir.“ Moderator Bülent Kayaturan, weißes Nike-Sweatshirt, Jeans, schulterlange Haare, rückt seine Zettel zurecht. Die Anzeige der Digitaluhr springt auf 8:00. „Günaydin, günaydin, günaydin! Hier kommt die witzigste, die skurrilste Show in der ganzen Stadt“: „Oriental Sabah“ (Orientalischer Morgen), das erste und einzige tägliche deutsch-türkische Morgenmagazin in Hamburg, jeden Werktag von acht bis zehn im Offenen Kanal auf 96,0 Megahertz.

Los gehts mit „drei Hits hintereinander“. Der erste hat kaum angefangen, da klingelt schon das Hörertelefon: Ein Hörer kommentiert fünf Minuten lang die Fußballergebnisse der türkischen Bundesliga vom Wochenende. Co-Moderator Murat Yildirim, 25, hört geduldig zu. Noch ist Fenerbahçe Tabellenführer. Aber Galatasaray kann es schaffen, meint der Hörer, wenn sie am nächsten Wochenende gewinnen... „Alle unsere Leute haben ,ihren' Verein in der Türkei“, erzählt Bülent, „und dann noch einen hier in Deutschland – 10 Prozent HSV, 90 Prozent St. Pauli.“ St. Paulis Aufstieg in die erste Liga vom Vortag ist denn auch die erste Meldung in den Oriental Sabah-Nachrichten um 8 Uhr 30. Dass ein türkischstämmiger Spieler das Siegtor geschossen hat, freut Bülent doppelt: „Vor allem, dass es jemand aus unserer Generation ist“.

Bülent Kayaturan, 25 Jahre alt, ist auf der Veddel geboren und aufgewachsen, wo er heute noch mit seinen Eltern lebt. Die Idee zu einem täglichen Morgenmagazin im Offenen Kanal hatte er schon lange – wegen der großen Resonanz auf sein sporadisches Magazin „Oriental Evening“. Er machte sechs Monate Praktikum bei Fun Fun Radio, lag dem Chef des Offenen Kanals, Leonhard Hansen, in den Ohren: „Die Zeit ist reif.“ Bis der schließlich sagte: „Du hast die Morning-Show.“ Am 13. November 2000 gingen Bülent und Murat zum ersten Mal auf Sendung.

Rund 5000 Rückmeldungen, im Schnitt 192 pro Woche, haben sie seitdem bekommen, über Telefon, Fax – manche Hörer kommen auch einfach im Studio an der Stresemannstraße vorbei. Der direkte Kontakt ist den Moderatoren am Wichtigsten: „Was die Südländer ausmacht, ist der Zusammenhalt.“ 67.000 Türken leben in Hamburg, weitere 18.000 sind eingebürgert. Aber Oriental Sabah hören auch Perser, Albaner, Griechen... und Deutsche natürlich. Deshalb sind die Nachrichten auch auf deutsch, die Moderationen auf türkisch.

Gerade erzählt Murat Yildirim einen Witz über die türkische Regierung, die es geschafft hat, so lange im Amt zu bleiben wie keine andere seit 24 Jahren – „wahrscheinlich, weil sie sich nur um Belangloses kümmert“. Dazu gibt es ein Sprichwort, sagt Murat: „Yan gel yat“ (Sich auf seinen Lorbeeren ausruhen). Bülent prustet ins Mikro – Murat hat die Wörter vertauscht. „Sollen doch die Hörer anrufen und sagen, wie es richtig heißt“, verteidigt der sich. Fünf Sekunden später klingelt das Telefon. Dass ihr Türkisch nicht perfekt ist, haben viele zu Anfang den Moderatoren vorgeworfen und gemeint: „Verschwindet doch.“ Hinzu kamen die Drohungen aus „allen politischen Richtungen“: „Wenn ihr nicht unsere Sichtweise bringt, werdet ihr sehen, was ihr davon habt.“ Nach drei Monaten waren die beiden so genervt, dass sie fast aufgegeben hätten, erzählt Bülent: „Bin ich denn der Depp, dass ich dafür jeden Morgen um halb sechs aufstehe?“ Aber dann waren da auch die vielen positiven Reaktionen: „Wir finden es klasse, dass ihr so seid, wie ihr seid. Ist doch egal, wenn ihr Fehler macht“, „Einen Sohn wie dich möchte ich haben“ oder „Ich geb dir meine Tochter zur Frau“. Bülent und Murat machen weiter, weil „wir den Leuten etwas geben, was sie vermissen“: Eine Sendung, produziert in ihrer Stadt von ihren Leuten in ihrer Sprache.

Ein Hörerfax geht ein: Mustafa Bakkalci grüßt seinen Freund Evdala von der „Fruchtpalette“ in Heimfeld. Bülent sammelt die Grüße, um sie am Ende der Sendung vorzulesen. Und wie in jeder richtigen Morningshow gibt es natürlich auch ein Gewinnspiel – diese Woche ist der Preis eine Musikanlage. Oriental Sabah kann sich vor Sponsoren nicht retten, sagt Bülent: „Einen 24-Stunden-Sender zu finanzieren, wäre überhaupt kein Problem. Das ist mein großes Ziel.“ Aber es gibt nach Auskunft der Hamburgischen Anstalt für neue Medien keine freien Frequenzen in Hamburg: „Sobald es Kapazitäten gibt, ist Oriental Sabah einer der ersten Anwärter“, sagt Direktor Lothar Jene. Bis dahin machen Bülent und Murat alles ehrenamtlich, weil auf dem Offenen Kanal keine Werbung laufen darf. Mit der Vor- und Nachbereitungszeit kommen sie auf acht Stunden täglich, fünf Tage die Woche. Am Wochenende jobbt Bülent in einer Boutique und als DJ Bedo.

Gute Laune will er mit der Sendung verbreiten, aber nicht nur: „Ich will den Leuten auch sagen, macht was aus euch, mischt euch ein.“ Vorige Woche war Bürgerschaftspräsidentin Dorothee Stapelfeldt (SPD) zu Gast bei Oriental Sabah, um dafür zu werben, dass sich MigrantInnen einbürgern lassen und Ende September zur Wahl gehen. Hamburg, findet Bülent, ist zwar die ausländerfreundlichste Stadt in Deutschland, „aber so richtig akzeptiert hat uns die Gesellschaft noch nicht“. Solange noch jemand seine Generation „Gastarbeiterkinder“ nennt.

Nicht jedes Thema eignet sich für sein Magazin, sagt Bülent: „Wir müssen schon versuchen, den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den Generationen zu finden.“ Bei einer Sendung zum Thema Seitensprung hätten zwar viele angerufen und gefaxt – „aber niemand wollte mit Namen genannt werden“. Überhaupt sei Sexualität tabu: „Ich würde den Leuten zwar gerne im Radio sagen: Benutzt Kondome. Aber dann würden wir sehr viele ältere Hörer verlieren. Die Zeit muss erst noch kommen.“

Der letzte Nachrichtenblock: Bülent steigt nochmal mit St. Pauli ein, „das kann man gar nicht oft genug bringen“. Anschließend der „Service für die schönste Stadt: Wetter und Verkehr. Auf der A 7 Flensburg Richtung Hamburg zwischen dem Dreieck Nordwest und Stellingen...“ Für heute schließt sich das deutsch-türkische Fenster im Hamburger Rundfunk. Es klopft an der Studiotür: Die Gewinnerin des Spiels der vorigen Woche will ihren Gutschein für eine goldene Kette abholen. Weil alle Hörer wissen, dass Murat wild auf Schokolade ist, hat sie ihm eine Packung mitgebracht: Merci.