Europa über alles

■ Vom Bier, zum Likör, zur Gleichberechtigung – ohne Europa sähe es in Deutschen Gesetzbüchern ein bisschen ärmer und strenger aus

Gut, dass es Europa gibt. Nicht auszudenken, wie lange Deutschland ohne den Staatenbund noch brauchen würde, um etwas Einsicht in seine unsinnigsten Gesetzesparagraphen zu bringen. Zum Beispiel das Importverbot für Johannisbeerlikör. Oder überhaupt die Gleichberechtigung – ein Unding ohne EU.

Das meinen zumindest die Rechtsfachleute, sprich: die AnwältInnen, die sich seit Mittwoch zum Deutschen Anwaltstag in Bremen eingefunden haben und hier Sinniges aber auch Unsinniges in euroäischen und deutschen Gesetzesbücher sezieren. Rund 1.500 von ihnen wurden zum Generalthema „Europa – Bund – Region“ erwartet.

Schließlich muss man nicht denken, dass nur Deutsche Juristen alles richtig gemacht haben. Auch in anderen Ländern hat man nachgedacht, Gesetze gemacht und es zum Teil sogar besser gemacht. Und das kann man von Europa lernen. Denn von der Grundrechte-Charta der EU könnte sich Deutschland eine dicke Scheibe abschneiden.

„Alles Gute kommt von Europa“, mag man zum Beispiel denken, wenn man nur Manfred Zuleeg hört. Der Professor Doktor aus Frankfurt war Mitglied des Europäischen Gerichtshofs und plaudert ein bisschen aus dem Nähkästchen der EU-Justiz. Und kommt gleich auf den Unsinnigsten der unsinnigen Paragraphen zu sprechen: Die Sache mit dem Johannisbeerlikör.

Ein staubaltes deutsches Gesetz regelte nämlich jahrelang, dass Likör einen Mindestgehalt an Alkohol haben muss. Deswegen durfte auch Johannisbeerlikör nicht importiert werden, weil er für die Deutschen zu wenig Alkohol enthielt. Aber damit wurde gegen das europäische Recht auf freien Warenverkehr verstoßen. Außerdem machte ein Mindestalkoholgehalt irgendwie überhaupt keinen Sinn. Ob den Deutschen kein geringeres Alk-Niveau zuzumuten war, wenn sie Likör kaufen? Man weiß es nicht. Zu ihrer Rechtfertigung, erinnert sich Zuleeg, konnte die Bundesregierung seinerzeit nicht allzuviel sagen. Der Europäische Gerichtshof erlaubte jedenfalls den Vertrieb des Likörs – zumindest für den zwischenstaatlichen Verkehr. Innerhalb deutscher Gesetzeshoheit soll es noch Jahre gedauert haben bis der Likörparagraph fiel.

Aber abgesejem vom Likörimport hat Europa noch weit mehr ermöglicht. Zuleeg führt die Gleichberechtigung ins Feld, die es ohne EU hierzulande vor Gericht vermutlich weit schwerer hätte. Frauen in der Bundewehr zum Beispiel. Ohne Europäischen Gerichtshof immer noch undenkbar. Eine klitzekleine Bestimmung im Rahmen der Wehrpflicht reichte, dass deutsche Gerichte Frauen den Zugang zur Bundeswehr kategorisch verwehrten. „Und das mit den abstrusesten Begründung“, ärgert sich Zuleeg: Von wegen „Frauen beschützen, und es sei mit dem Wesen der Frau nicht in Einklang zu bringen“ undsoweiter.

Erst der Europäische Gerichtshof (Eu-GH) in Luxemburg hat den freiwilligen weiblichen Eintritt in der Bundeswehr möglich gemacht. Aber das war nicht der einzige Fall von Gleichberichtigung und ihren Vermittler namens Eu-GH. Auch andere Länder hatten Nachhilfe nötig. Frankreich zum Beispiel hatte es in Sachen Gleichberechtigung fast zu weit getrieben, erinnert sich Zuleeg. Dort hatte man Frauen die Nachtarbeit verboten. Aber wenn auch Männer auf dem nächtlichen Weg zur Arbeit überfallen werden konnten, „musste man den Weg verändern, und nicht den Frauen die Nachtarbeit verbieten.“ pipe