Ein Sommer voller Festivals

Die Weltmusik-Events boomen, und die weißen Flecken auf der Landkarte werden immer weniger. Vom Karneval zum Carnival: Ein Überblick über alle wichtigen Termine und Höhepunkte der Saison

Afrika-Aficionados zieht es nach Würzburg, Bochum gibt sich orientalisch, und Brasil-Partys steigen in Tübingen und Berlin

Längst muss man nicht mehr in die Ferne schweifen, um musikalisch fremdzugehen: Das Angebot an hochkarätigen Weltmusik-Festivals vor der eigenen Haustür wird immer üppiger. Die Saison ist eröffnet. Und Niemand soll sagen können, er habe von nichts gewusst . . .

Gerade Mal fünf Jahre alt ist der Karneval der Kulturen in Berlin, der am Pfingstsonntag durch den Bezirk Kreuzberg rollt, und schon beginnt er, dem großen Bruder Love Parade den Rang abzulaufen. Über eine Million Besucher sollen im letzten Jahr gezählt worden sein, weswegen sich der Trubel allmählich auf die Tage rund um die Parade ausdehnt. Vom 1. bis 4. Juni wird die Parade von Veranstaltungen auf diversen Bühnen musikalisch flankiert. Und in diesem Jahr wird die Vorfreude erstmals schon eine Woche vorher angefeuert, und zwar mit dem Carnaval Berlin Brasil auf dem Schlossplatz in Mitte. Vom 25. Mai bis 27. Mai spielen hier Bands aus Brasilien wie Mestre Ambrósio (Seite XI) und Samba-Formationen aus Berlin um die Wette, abgerundet werden die Abende mit DJ-Partys.

Nicht nur in der Haupstadt wird der Partykalender damit immer dichter, auch im Rest der Republik weist die Festival-Landkarte kaum noch weiße Flecken auf. So hat Ulm sein Zeltfestival, wo vom 23. Mai bis zum 7. Juli die Oberton-Botschafter der russischen Republik Tuva Huun Hur Tu und die Band Simentera von den Kapverdischen Inseln erwartet werden. Und Bielefeld hat sein Weltnacht-Festival, das sich allmählich in die umgebenden Gemeinden ausdehnt, die ein Shuttle-Service verbindet. Besucher können hier vom 26. Mai bis 30. Juni so illustren Stimmen wie der von Sam Mangwana, von Habib Koité (Seite VIII) oder Chico César lauschen, und als Höhepunkt wird am 9. Juni ein Carnival der Kulturen die Innenstadt von Bielefeld in Beschlag nehmen wird.

Ganz im Zeichen des Reggae beginnt an Pfingsten das Africa-Festival in Würzburg. Die Marley-Söhne Julian und Damian haben zwar abgesagt, dafür springt Tiken Jah Faokly mit Reggae von der Elfenbeinküste ein, und der Roots-Shootingstar Patrice wird für den Reggaestandort Deutschland werben. Am Pfingstsonntag gibt sich der kongolesische Soukous-Star Papa Wemba die Ehre, und am Montag bestreiten Miriam Makeba und das Township-Trio der Mahotella Queens eine südafrikanische Nacht.

Ebenfalls an Pfingsten geht das Jazz-Festival in Moers über die Bühne. Wie bei vielen anderen Jazz-Festivals, etwa dem in Montreux, nimmt die Weltmusik auch hierzulande immer größeren Raum ein. Neben Robert Wyatt und den Residents treten Candido Fabre und Toni Martinez aus Kuba auf, Boban Markovic (Serbien) wird den Balkan-Marsch blasen und Mola Sylla (Senegal) afrikanische Akzente setzen. Natacha Atlas (Seite V), Hugh Masekela (Südafrika) und die Sängerin Savina Yannatou (Griechenland) wiederum gehören zu den Headlinern des abwechslungsreich gewürzten Masala-Festivals in Hannover vom 8. bis 23. Juni.

Obwohl es in Deutschland eine große türkischstämmige Minderheit gibt, fehlte bislang ein Festival für türkische Musik. Das Festival auf dem Wasserschloss Haus Kemnade bei Bochum will diese Lücke schließen: im 16. Jahr kräftig renoviert, präsentiert es nun vom 22. bis 14. Juni ein orientalisches Potpourri mit der Pop-Sängerin Askin Nur Yengi, die einst im Background für Sezen Aksu sang und längst selbst zu den großen Namen der Türkei zählt, mit anatolischem Folk von Erkan Ogur und den Kardes Türküler, mit kreiselnden Mevlevi-Derwischen aus Konya und diversen DJs und Rappern aus Paris, Berlin und Istanbul. Örtliche Vereine präsentieren sich bei einem Basar, lokale Künstler auf der Bühne, und eine Konferenz will den Stand des „Deutsch-türkischen Kulturtransfers“ beleuchten.

Kreuz und quer durch die Musikstile der Welt geht es vom 29. Juni bis 5. August in Kassel, wo das Kulturzelt an der Drahtbrücke nicht nur mit Rock und Jazz, sondern auch mit Salif Keita aus Mali, Sierra Maestra aus Kuba und Radio Tarifa aus Spanien lockt. Das Zeltival Karlsruhe eröffnet am 30. 6. mit der Salsa-Band Africando und präsentiert später, neben John Cale, Calexico und Götz Alsmann, auch Radio Tarifa aus Spanien sowie Chico César aus Brasilien.

Vom 5. Juli bis 29. Juli steigt in Lörrach das „Stimmen“-Festival mit klingenden Namen. Auf dem Marktplatz wird neben Bob Dylan und Neil Young auch die kubanische Sängerin Omara Portuondo auftreten, im Rosenfelspark machen die griechischen Sängerinnen Melina Kana und Eleftheria Arvanitaki den Auftakt, außerdem werden dort Spaccanapoli (Seite X) aus Italien erwartet.

Weiter östlich, in Thüringen, hat das Tanz- und Folkfest Rudolstatt eine lange Tradition. Schwerpunkte in diesem Jahr bilden Steelbands und Soca von den Kleinen Antillen sowie die alternative Volksmusikszene Bayerns, außerdem soll vom 6. bis 8. Juli mal das Instrument Klarinette ganz im Rampenlicht stehen. Beim Traumzeit-Festival in Duisburg vom 6. bis 8. Juli präsentieren sich Newcomer wie die Highlife All Stars (Seite VIII) aus Ghana und Njava aus Madagaskar, während beim noch jungen Festival am gleichen Wochenende auf der Museumsinsel in Berlin der Kolonnadenhof vor der alten Nationalgalerie eher dem etablierten Personal vorbehalten bleiben wird: Goran Bregovic, Cesaria Evora und Vieja Trova Santaguiera sind hier die Attraktionen.

Die Heimatklänge in Berlin, 1988 gegründet, zählen zu den ältesten Festivals ihrer Art. Jedes Jahr gehorchen sie einem anderen Motto. Dieses Mal lautet es „Soul 2 Soul“ und meint das musikalischen Hin und Her zwischen Afrika und dem amerikanischen Kontinent. Kongolesischer Afro-Salsa von Ricardo Lemvo, der in L.A. lebt, kubanischer Jazz von Omar Sosa und der Township-Gospel der Mahotella Queens, im Verbund mit jungen Kwaito-Rappern aus Südafrika, zieren das Programm vom 11. Juli bis 26. August. Fast zeitgleich zieht vom 17. Juli bis 26. August etwas weiter südlich in der Kulturarena Jena eine vielköpfige Karawane über die Bühne. Koryphäen der Gipsy-Musik wie die Taraf de Haidouks, Esma Redzepova, die Fanfare Ciocarlia und die Gitanos de Jerez machen hier den Autakt, des Weiteren sind die Klezmer Brass All Stars um Frank London, die Spanierin Maria Serrano und der Salsa-Posaunist Jimmy Bosch als Gäste geladen.

Das Festival Viva Afro Brasil in Tübingen vertraut in diesem Jahr vom 21. bis 22. Juli, ganz auf die bewährten weiblichen Kräfte der Tropicalia-Veteranin Maria Bethania und der Samba Pagose-Ikone Daniela Mercury, und beim Bardentreffen in Nürnberg bringen eine Woche darauf, vom 27. bis 29. Juli, Värttinä ihre finnischen Stimmen, die Bollywood Brass Band ihr Blech und Yat Kha aus Tuva ihr Oberton-Jodeln zu Gehör. Bei der Odyssee im Ruhrgebiet vom 17. August bis 2. September ziehen unter anderem Sawt El Atlas (Seite V) aus Frankreich in Recklinghausen, Bochum und Mülheim über die Bühne. Und vom 20. bis 23. September endet die Festival-Saison in Essen – wieder mit einem Carnival der Kulturen, der hier erst zum zweiten Mal gefeiert wird. So schließt sich der Reigen.