Mit dem Rad im touristischen No-go

In Libyen lässt sich zwar gut Geld verdienen, und die Menschen sind überaus gastfreundlich – wenn einem allerdings die Felge bricht, ist man mit dem Fahrrad am Ende der Welt. Aber wer geht schon mit einem Fahrrad wüstenwandern im Maghreb?

Den Vergleich mit tunesischen Souks verliert die libysche Hauptstadt

von VOLKER WALPUSKI

„... Tourist?“ ist das einzige Wort, das ich im arabischen Redeschwall des libyschen Grenzers verstehen kann. Die Einreise nach Libyen ist trotz des Visums für europäische Reisende nicht möglich, eine lange Schlange aufgerüsteter Wüstenmobile steht im Niemandsland zwischen Tunesien und Gaddafis Wüstenstaat. Nachdem ich glaubhaft versichern kann, im Transit nach Ägypten zu reisen, darf ich mein Fahrrad zwischen all den Autos durchschieben. Inzwischen ist es spät nachts und ziemlich frisch. In der Sahara-Bank inmitten der Grenzabfertigung frage ich Khalife, wo das nächste Hotel sei. In Zuara, 60 Kilometer weiter. „Aber du kannst auch hier schlafen, da hinten ist noch eine Ecke frei, und ich bin eh die ganze Nacht hier.“ So begegne ich zum ersten Mal der libyschen Gastfreundschaft und rolle meine Isomatte in dem Container aus, gleich neben dem alten Tresor voller Geldbündel.

Entlang der Küste erreiche ich Sabrata, die westlichste der drei Städte, die in der Antike den mächtigen Bund Tripolis bildeten. Während der Kolonialzeit von den italienischen Besatzern ausgegraben, liegen die Ruinen beeindruckend und nahezu verlassen unter azurblauem Himmel. Staunend wandere ich über Mosaiken, durch Wohnviertel, Bäder und das Theater, das einmal 5.000 Menschen aufnahm.

Zwischen modernen Betonbauten quält sich dichter Autoverkehr durch Tarabulus al-Gharb (Tripolis), und ich begegne den ersten drei Radfahrern. Am Strand und in der Medina türmen sich Bauschutt und Müll. Es stinkt. Immer noch stehen Ruinen des US-amerikanischen Luftangriffs von 1986. Dennoch verbreitet sich ein Anflug von Flair, wenn die Kupferschmiede in ihrer engen Gasse unter lautem Gedröhn Halbmonde für Moscheen und Töpfe schmieden oder aus der Bäckerei der Duft von frischem Weißbrot um die Ecken kriecht. Ein Kellner bringt Tee in die Läden, in einem winzigen Verschlag werden Zigaretten verkauft. Doch den Vergleich mit tunesischen Souks verliert die libysche Hauptstadt entschieden: touristisch ein No-go.

Kaum dass ich den Einzugsbereich der Metropole gen Südwesten und Nafusah-Gebirge verlassen habe, werde ich zur echten Attraktion: Radfahrer kennt man hier in der endlos scheinenden Weite nicht, schon gar nicht mit rotem Helm und Packtaschen. Hier überwiegen die Sandfarben und das islamische Grün der Staatsflagge. Autofahrer halten mich an, schenken mir Essen und Wasser, laden mich lachend ein sie zu besuchen. Mit wenigen kann ich mich über ein „es geht mir gut, danke“ verständigen.

Mahmoud spricht ein paar Brocken Englisch. Durch ihn und seine Freunde komme ich in Bir al-Ghanam im Wüstenfort der Polizei unter dem allgegenwärtigen Konterfei des Staatschefs zu einem Nachtquartier. Misstrauische Fragen nach dem Woher und Wohin dokumentieren ebenso wie die zahlreichen Straßenkontrollposten unterwegs den totalitären Überwachungsstaat sozialistischen Anstrichs. Manchmal wüsste ich gern, welche Parolen die arabische Propaganda und die Triumphbögen an den Ortseingängen im 32. Jahr nach der Revolution verkünden.

Frösche quaken! Ich traue meinen Ohren nicht, doch zwischen den Palmen im Oued von Goush steht Wasser, kaum 100 Meter weiter fängt wieder die Ödnis an. Drei tunesische Gastarbeiter laden mich ein, die Nacht bei ihnen zu verbringen. Ihr Quartier ist ein einfaches Haus mit einem Raum, drei roh gezimmerten Betten und einem Tisch. Es gibt süßen grünen Tee, und ein halbes Dutzend ihrer Freunde kommen zum Plausch. Die zwei Teegläser wandern von Mund zu Mund, während sie mich immer wieder ausfragen. Sie alle kamen wie rund 170.000 andere nach Libyen, weil sich in einem der reichsten Länder Afrikas Geld verdienen lässt: Im Westen werden nahezu alle Cafés von Tunesiern oder Marokkanern betrieben.

In der Bergstadt Nalut treffe ich Mahmoud und seine Freunde wieder. Sie studieren hier am Lehrerseminar und zeigen mir den Weg zur alten Speicherburg der Berber, Ksar genannt. Dort hat die Bevölkerung Naluts in langen, niedrigen, dafür hoch geschichteten Kammern über Generationen ihre Vorräte gelagert. Heute leben die Menschen in Betoneinheitsbauten weitaus weniger pittoresk, aber deutlich komfortabler. Vom Ksar habe ich einen großartigen Blick auf die sandige Ebene, der Vollmond beleuchtet die felsigen Hänge. Algali, ein älterer, traditionell gekleideter Berber, setzt sich neben mich auf den Steinsims am Rande des Abgrunds. Er hat für eine Ölgesellschaft gearbeitet und erzählt deshalb in gutem Englisch aus seinem Leben. Eine Atmosphäre wie in 1001 Nacht.

Ein paar Kilometer südlich Naluts hält der Österreicher Alois auf der Asphaltstraße an. Auch er kann kaum glauben, dass ich mit dem Rad durch die Wüste wandere. Wegen des starken Südwinds laden wir das Rad in seinen Kombi, und während der Fahrt ins 330 Kilometer südlicher gelegene Ghadames berichtet er von seinen Erfahrungen als Projektleiter einer Medizintechnikfirma. Nur sein hohes Salär hält ihn in Libyen. Und in der Tat bieten Tripolis wie auch der Rest des Landes wenig öffentliches Leben: Frauen sind nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr außerhalb der Häuser anzutreffen, die Männer besuchen sich in privaten Runden; Theater und Kinos gibt es nicht.

Der Abend bringt mir Kummer: Meine Felge ist gerissen, Ersatz ist nur in Tripolis zu erhalten. Am nächsten Tag nehme ich nach einem Rundgang durch die verlassene Medina und einem wehmütigen Blick auf Sanddünen und Tuareg den Bus nach Norden und lasse die Wüste vorerst hinter mir zurück.