Die Wunden schließen sich

Die Teilnahme am heutigen Pokalfinale gegen Schalke 04 ist für den FC Union Berlin auch eine Art späte Entschädigung. Die Spieler haben mit diesem Teil der Vereinsgeschichte aber wenig am Hut

aus Berlin MARKUS VÖLKER

Gut, dass Fabian da ist und alles so prima erklären kann. Fabian ist neun Jahre alt und redet von Unions Geschichte wie ein Alter. Sven Beuckert ist 27 und Torhüter des Pokalfinalisten. „1968 war ich noch nicht auf der Welt“, argumentiert Beuckert. Er kennt den damaligen Keeper Rainer Ignaczak nicht. Fabian schon. Der Kleine bietet an, mal ein Bild mitzubringen, damit die Historie für Beuckert anschaulich wird. „Der ist schon länger verbunden mit dem Verein“, sagt Beuckert über Fabian. Und schickt ihn dann zum Bälle einsammeln, die vorher beim Training in die Rabatten gedroschen wurden.

Beuckerts Verhältnis zum Verein ist entschieden pragmatisch. „Ich stehe 2001 im Pokalfinale und nicht 1968, und ich muss sehen, dass ich da so gut wie möglich rauskomme.“ Union ist für ihn ein „Arbeitgeber. Ich will meine Arbeit sauber machen.“ Seit vorigen Sommer steht er in Berlin zwischen den Pfosten. Er war es, der im Pokalhalbfinale die Elfmeter von Borussia Mönchengladbach hielt. Bis 2003 läuft der Vertrag von Beuckert, der aus Aue im Erzgebirge kommt. Dann wird der Sachse vollends unsentimental und verblüfft selbst Fabian: „Für mich ist Union nichts Besonderes. Ein Job. Außerdem behauptet jeder Klub von sich, er wäre ein Kultverein.“

Die Fans sind ganz anderer Ansicht. Rainer Ignaczak auch. Diese Saison sei für den Verein aus Berlin-Köpenick „einfach sensationell“ gelaufen. Solide Finanzierung durch die Kinowelt AG. Aufstieg in die 2. Liga. Pokalfinale gegen Schalke 04. Sicher im Europapokal, weil Schalke in der Champions League kickt. Da schließt sich ein Kreis zwischen gestern und heute.

Ignaczak war dabei, als Union Berlin den Pokal holte. Im Jahre 1968. Gegen Carl Zeiss Jena gewannen sie 2:1. Und verloren danach als Sportsmänner im Kalten Krieg haushoch. Weil Moskaus Panzer durch Prag rasselten, die Uefa Spiele zwischen Ost und West aus Sicherheitsgründen absagte und der Ostblock daraufhin mit Rückzug seiner Klubs reagierte, kamen sie zu kurz.

Irgendwie schien das zu Union zu passen. Zum ewigen Unterprivilegierten, der als Gegenstück zum BFC Dynamo taugte. Noch heute schimpfen Fans von Union im Internet über das „Dynamo-Pack“ und die „Stasi-Büttel“. Das Wohl und Wehe des BFC wurde in letzter Instanz von Stasi-Chef Erich Mielke bestimmt. Damals war das so: Trat der verhasste BFC Dynamo zum Freistoß an, dann krakeelten die Fans: „Die Mauer muss weg.“

Das Blatt hat sich gewendet. Mit der Teilnahme am Europacup schließen sich die Wunden der Unioner. Die Aussicht, späte Rehabilitation zu finden, versöhnt die Gebeutelten mit dem Schicksal. „Das ist unbeschreiblich, es ist wie eine späte Entschädigung“, sagt Ignaczak. Die Nerven des Torwarts wurden auch in den Neunzigern nicht geschont. Konkursdrohung, Lizenzentzug durch den DFB, knapp verpasste Aufstiege sind die Stichwörter, bei denen Ignaczak nur abwinkt.

Günter Mielis kennt die Union-Anhänger sehr genau: „Wir sind sehr feinfühlig, wir haben ein sehr feines Gespür für Unrecht“, sagt er. Wie war das also damals vor 33 Jahren, als er stellvertretender Klubchef war und nichts tun konnte gegen die politische Willkür? „Einfach erschreckend war das“, erinnert sich Mielis. Nicht nur, dass „die Schwerpunktklubs wie der BFC immer mehr gekriegt haben“, nun war Union endgültig auf die Opferrolle festgelegt. „Union wurde zum Sammelbecken, wo all die Unzufriedenheit einfloss“, erklärt Mielis. Von politischer Opposition zu DDR-Zeiten könne man aber nicht sprechen, sagt er, das wäre überzogen. Sogar das Mitglied des einstigen Zentralkomitees der SED, Horst Sundermann, zeigte Sympathien für die Malocher, die unter den Rufen „Eisern Union“ zum Tackling ansetzen. „Der 1. FC Union hat wundervoll gekämpft“, sagte Sundermann nach dem Pokalerfolg 68. Mielis dazu: „Wir mussten uns immer wehren, auch gegen Einflussnahme von oben, diese Abwehrhaltung kultivieren die Fans immer noch.“

Am Samstag werden die Spieler von Union oft in der Defensive sein. Schalke wird nach dem Meisterschaftsdrama ins Pokalfinale gehen wie in eine Therapie, die schnellstmögliche Erlösung verspricht. „Schalke muss unbedingt gewinnen“, sagt Beuckert. Er sieht der Kulisse im Berliner Olympiastadion gelassen entgegen. „Bei mir kribbelt’s nicht mehr als gegen Preußen Münster oder Braunschweig. Diese Spiele waren für uns ja fast wichtiger.“ Und wenn Beuckert schon nichts übrig hat für die Geschichte, dann doch etwas für die religiösen Aspekte des Fußballs. Weil derzeit der Himmel über Berlin in königsblau-weißen Farben liegt, „können wir uns gut auf das Spiel einstimmen“, sagt er. Und: „Fußballgott ist in letzter Zeit immer für die Rot-Weißen. Ich hoffe, er bleibt auch am Samstag bei diesen Farben.“ Fabian zeigt stolz auf sein Leibchen: Das rot-weiße mit einem Autogramm von Beuckert drauf.