Politikziel: Wischiwaschi

ZUWANDERUNG (2): Autonome und Konservative sind verwirrt. Die EU hat liberale Vorschläge zum Asylrecht vorgelegt. Nun muss deutsches Störfeuer verhindert werden

Die vehementeVerteidigung desAsyl-Grundrechtsdurch die Grünenführt in die Irre

Vielleicht wäre es 1993 besser gewesen, das deutsche Grundrecht auf Asyl ganz abzuschaffen. Dann liefe die politische Diskussion heute nicht so verquer. Auch in der Öffentlichkeit wäre dann bekannt, dass für Asylverfahren heute in aller Regel die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) entscheidend ist. Und dass über die Zukunft der Asylgewährung derzeit vor allem in den Gremien der Europäischen Union entschieden wird. So will etwa der Ministerrat in Brüssel am kommenden Montag und Dienstag wichtige Vorentscheidungen darüber treffen, wie Menschen im Falle von Massenfluchten provisorisch geschützt werden können.

Doch von vorn: Das Asylgrundrecht hat seit 1993 an Bedeutung verloren – schuld daran ist vor allem die Drittstaaten-Regelung. Wer Deutschland über einen sicheren Drittstaat erreicht, hat keinen Anspruch auf ein Asylverfahren, auch wenn er oder sie tatsächlich politisch verfolgt wird. Dass dennoch rund 100.000 Asylverfahren pro Jahr in Deutschland stattfinden, haben die Asylsuchenden der Genfer Flüchtlingskonvention zu verdanken. Voraussetzung für ein Verfahren ist allerdings, dass sie ihren Reiseweg verschleiern, sonst würden sie sofort in einen der durchquerten Drittstaaten zurückgeschickt. Das systematische Vernichten von Pässen und Fahrkarten sowie die Nutzung von geschäftsmäßigen Schleppern sind also keinesfalls ein Indiz für Asylmissbrauch, wie Unionspolitiker immer wieder anführen, sondern ein Sachzwang unserer degenerierten Asylgesetzgebung.

Vor diesem Hintergrund ist es auch kein großes Zugeständnis, dass CDU und CSU derzeit keine Grundgesetzänderung fordern. Die Abschaffung eines Grundrechts, das seine Bedeutung verloren hat, wäre nichts als ein hohles Symbol. Irreführend ist allerdings auch die vehemente Verteidigung des Asyl-Grundrechts durch grüne PolitikerInnen und liberale Medien.

So verhindert die Fixierung aufs Grundgesetz eine Diskussion darüber, dass Deutschland bei der Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention seit Jahren internationale Standards unterläuft. Nach deutscher Rechtsprechung ist nämlich nur staatliche Verfolgung relevant. Das Bundesverfassungsgericht hat im letzten Jahr zwar anerkannt, dass die faktische Kontrolle eines Gebietes im Bürgerkrieg der staatlichen Herrschaft gleichzustellen ist. Echte nichtstaatliche Verfolgung, etwa durch islamische Extremisten in Algerien, löst dagegen in Deutschland immer noch keinen Schutzanspruch nach der GFK aus. Auch die kontinuierlichen Mahnungen des UN-Flüchtlingskommissars (UNHCR) konnten hieran nichts ändern.

Dies heißt nun nicht, dass gefährdete Algerier und andere nichtstaatlich Verfolgte sehenden Auges in Todesgefahr zurückgeschickt werden. Auch ohne GFK-Anerkennung erhalten solche Flüchtlinge Schutz – allerdings nur in Form einer Duldung. Konkret heißt das: Diese Flüchtlinge haben keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, Familienzusammenführung ist ausgeschlossen und eine Einbürgerung ist auch nach langem Aufenthalt in Deutschland nicht möglich.

Diese systematische Schlechterbehandlung von Menschen, deren Schutzbedürfnis offensichtlich ist, dient nur einem Ziel: Sie sollen sich in Deutschland nicht integrieren können, auch wenn sie jahrelang hier leben. Und trotz bald dreijähriger Rot-Grün-Regierung hat sich hier außer einem unverbindlichen Bundestagsbeschluss noch nichts bewegt.

Für Bewegung sorgt derzeit vor allem die EU-Kommission mit ihren ausgesprochen liberalen Vorschlägen zur europäischen Harmonisierung des Asylrechts. Und sie erstaunt dabei Autonome wie Konservative, denn sie setzt sich keineswegs für eine weitere Abschottung der Festung Europa ein. Vielmehr tritt sie konsequent für eine ungekürzte Verwirklichung des internationalen Flüchtlingsrechts in den EU-Mitgliedstaaten ein. Noch vor zwei Jahren hatten Otto Schily und die Union gehofft, dass bei einer europäischen Harmonisierung die vermeintlich hohen deutschen Standards abgesenkt werden können. Jetzt ist genau das Gegenteil eingetreten. Die Abschottungspolitiker verteidigen die deutschen Restriktionen gegenüber den flüchtlingsfreundlichen Vorstößen aus Brüssel.

So will die EU-Kommission die Drittstaatenregelung aufweichen. Ein Flüchtling könnte dann im Einzelfall die staatliche Annahme widerlegen, er sei auf seinem Reiseweg bereits in einem Drittstaat wirklich sicher gewesen. Und bei der Familienzusammenführung sollen anerkannte GFK-Flüchtlinge besser gestellt werden als bisher. Außerdem wird im Herbst ein Kommissionsvorschlag erwartet, der auch bei nichtstaatlicher Verfolgung vollen Schutz verspricht.

Dabei ist aber noch keineswegs ausgemacht, dass sich die liberale Linie der Kommission in Europa tatsächlich durchsetzt. Denn in der erst jüngst vergemeinschafteten Asylpolitik gilt noch immer das Einstimmigkeitsprinzip. Wer an den nationalen Restriktionen festhalten will, kann also leicht Fortschritte blockieren. Die Kommission hat nur ein Druckmittel: Die EU-Verträge schreiben vor, dass die Asylpolitik bis 2004 harmonisiert sein muss. Es besteht jedoch die Gefahr, dass am Ende nur Wischiwaschi-Beschlüsse gefasst werden, die zwar liberale Grundsätze aufweisen, dann aber den Mitgliedstaaten große Freiheiten zur restriktiveren Ausgestaltung lassen.

Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl sind deshalb längst dazu übergegangen, Lobbyarbeit für die Kommissionsvorschläge zu machen. Wer positiv etwas bewegen will, muss jetzt die europäische Dynamik nutzen.

Erste Gelegenheit dazu bietet der Kommissionsvorschlag, bei einem Massenzustrom von Flüchtlingen diesen vorübergehend Schutz zu gewähren – ohne individuelle Prüfverfahren, aufgrund politischer Zusagen. Gemünzt ist diese Initiative auf Fälle wie den Krieg im Kosovo; nächste Woche soll sie im Ministerrat beraten werden.

Es ist kein großes Zugeständnis, dass CDU und CSU derzeit auf eine Grundgesetzänderung verzichten

Akzeptabel ist der Kommissionsvorschlag nur, weil er als relativ unbürokratische „Ausnahme“ im Interesse der Flüchtlinge ausgestaltet ist. Diese sollen davon abgehalten werden, einen Asylantrag zu stellen, indem der vorübergehende Status attraktiv konzipiert wird und zum Beispiel ein Arbeitsrecht gewährt. Manche EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland (!) und Österreich wollen den vorübergehenden Schutz dagegen nutzen, um damit Rechtspositionen aus der Genfer Flüchtlingskonvention zu unterlaufen. So gesehen könnte sich die Europäisierung doch noch gegen die Flüchtlinge wenden.

Die kritische Öffentlichkeit muss sich daher verstärkt mit den Vorgängen auf EU-Ebene beschäftigen. Das gespannte Warten auf die Ergebnisse von Süssmuths Einwanderungskommission und das dazugehörige Berliner Parteiengeplänkel sollten nicht davon ablenken, dass Asyl- und Einwanderungspolitik nur noch bedingt im nationalen Rahmen gestaltet wird.

CHRISTIAN RATH