„In Afghanistan überrascht mich nichts“

Die Grünenvorsitzende Claudia Roth fordert politischen Druck auf die Helfer und Asyl für Verfolgte der Taliban

taz: Am Montag findet ein Koalitionsgipfel zur Einwanderung statt. Afghanische Flüchtlinge erhalten aber in Deutschland kein Asyl, weil sie als Opfer „nichtstaatlicher Verfolgung“ gewertet werden – das Taliban-Regime gilt nicht als Staat. Werden Sie das Thema im Kanzleramt ansprechen?

Claudia Roth: Ja sicher. Dass in Deutschland nur staatliche Verfolgung anerkannt wird, ist ein Versäumnis. Das müssen wir korrigieren. Da geht es nicht um eine Ausweitung des Asylrechts, sondern darum, eine offensichtliche Schutzlücke zu schließen. Bis auf Frankreich wird das auch überall in der EU so gehandhabt.

Rot-Grün laboriert schon lange an der Änderung. Wann konkret kommt sie?

In der Tat, wann, wenn nicht jetzt? Es gibt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, es gibt einen Auftrag des Bundesverwaltungsgerichts, die Süssmuth-Kommission denkt in diese Richtung.

Aber?

Diese Frage und übrigens auch die der geschlechtsspezifischen Verfolgung werden wir im Rahmen der Einwanderungsdebatte einfordern – mit dem Ziel, innenpolitische Widerstände zu überwinden.

Sie waren vor einem Jahr als Vorsitzende des Bundestags-Menschenrechtsausschusses in Afghanistan. Hat es Sie überrascht, dass die Verfolgung jetzt die Hindus trifft?

In Afghanistan überrascht mich nichts mehr. Die zehn Tage im Land haben mich davon überzeugt, dass es sich bei den Taliban um eines der größten Terrorregime der Welt handelt. Die Kennzeichnung der Hindus setzt im Ergebnis zwei Gruppen unter Druck: die Hindus sowie Moslems, die keine Taliban-Anhänger sind und künftig einfacher zu erkennen sein werden.

Die Misshandlung von Frauen oder die Zerstörung der steinernen Buddhas haben weltweit Empörung ausgelöst, aber getan wird immer noch wenig. Wiederholt sich das jetzt?

Das dürfen wir nicht zulassen. Die Gefahr ist doch zu sagen: Es ist so schrecklich in Afghanistan, da kann man eigentlich nichts tun. Tatsächlich muss man öffentlich fragen, wer unterstützt die Herrschaft der Taliban? Die großen Geldgeber sind Saudi-Arabien und Pakistan. Das muss auch in der Außenpolitik thematisiert werden.

Ein Plädoyer für Sanktionen?

Nein, aber ich bin dagegen, business as usual zu betreiben. Bilateral und international kann politischer Druck ausgeübt werden.

Gleichzeitig sehen Sie die UNO-Sanktionen gegen Afghanistan kritisch. Warum?

Die Taliban halten sich am Rauschgifthandel schadlos, die Sanktionen treffen also vor allem die Bevölkerung. Bei den UNO-Beschlüssen spielte auch der US-Wunsch eine Rolle, den Terroristen bin-Laden unter Druck zu setzen. Die Hilfsorganisationen vor Ort beurteilen die Sanktionen dagegen sehr skeptisch.

INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ