Hilflose Revolutionskarikaturen

■ Verlorene Figurinen mit leeren Parolen: Barbara Weber inszeniert Brechts „Trommeln in der Nacht“ auf Kampnagel

Die kleinbürgerliche Welt in Barbara Webers Diplomabschluss-inszenierung Trommeln in der Nacht von Bertold Brecht ist wahrlich klein geraten: ein enges Zimmer aus Spanholz, das bei der leichtesten Berührung zu schwanken beginnt, steht völlig verloren und isoliert im Dunkeln der großen Kampnagel-Bühne (Bühne: Michel Schaltenbrand). Ein Gesellschaftsausschnitt.

Brechts Stück spielt im Jahr 1919: Die Bürgerstochter Anna wartet auf ihren Geliebten Kragler, der nicht aus dem Krieg zurücckehrt. Ihr Vater, ein Ekel-Alfred-Typ (Christoph Kopp), und ihre Mutter (Malika Khatir) drängen sie in eine Verlobung mit dem höchst unangenehmen Sonnenbrillen-Möchtegerngroß Murk (Martin Hug).

Doch die dunklen Trommelschläge gleich zu Beginn der Inszenierung lassen erahnen, dass diese fratzenhafte heile Kleinwelt nicht lange Bestand hat: Kragler (Beat Marti) taucht aus roten Nebelschwaden auf, gerade so, als sei er knapp der Hölle entkommen. Wie ein Aussätziger, in verfilztem Pelzmantel und Anglerhose (Kostüme: Stefanie Kunz), schlägt er die schützende Spanholzhülle um die Kleinbürgerwelt kurzentschlossen kurz und klein.

Kragler wird weggebissen und findet Zuflucht bei den saufenden Arbeitern des Viertels. Dort sorgen die bedrohlichen Nachrichtenfetzen von den kommunistischen Aufständen in Berlin für Aufruhr. Doch der mehrfach erstickende, unheilvolle Sirenengesang von zwei Musikanten überschatten die Szene: Zu diesem Zeitpunkt hat die Regisseurin Anna (Fabienne Hadorn) längst in Superwoman-Pose den Fängen Murks entfliehen lassen – unter der Obhut des Wildspunds Babusch (Dominique Müller), der ebenfalls als Gitarre spielender Seppl und ironischer Off-Kommentar fungiert.

Gleichzeitig schließen sich die Arbeiter in einer eindringlichen Szene zu einer komischen, hilflosen Revolutionskarikatur zusammen. Auf einer wackligen Stuhlbarrikade brüllen sie ihre leeren Parolen – und wie zur Parodie trägt einer von ihnen ein rotes Che-Guevara-T-Shirt mit einem spitz-ohrigen Spock-Profil.

Revolution und Idealismus bilden ein merkwürdiges Paar, findet Barbara Weber: „Für solche Massenbewegungen braucht es immer auch Mitläufer, die nicht hinterfragen. Alle tragen Che-Guevara-T-Shirts – aber wie viele wissen nicht, wer das war, was der gemacht hat?“ Diese Anspielung blitzt in der Inszenierung jedoch nur sehr kurz auf.

So berauschend Brechts frühe, antiromantische Sprache und die detailreichen Ideen der Inszenierung auch sind, die die Zuschauer in Bann schlagen: Der Schluss, die Abwendung Kraglers von der Revolution, die Flucht vor der Verantwortung ins warme Bett Annas, ist trostlos und traurig. Enttäuscht und kraftlos bleibt der Zuschauer mit seinen vermeintlichen Idealen zurück – in einer ohnehin schon gleichgültigen Zeit.

Christian T. Schön