piwik no script img

Die dritte Generation lebt vom Erbe

Sie kamen vor 50 Jahren nach Auflösung des niederländischen Kolonialbesitzes Indonesien nach Holland: die Molukker. Die Generation der Kinder kämpfte noch für eine Freie Republik, die der Enkel hat kein politisches Anliegen mehr: Sie steigt aus

Junge Molukker stehen heute kaum besser da als ihre Großeltern

von HENK RAIJER

Der Großvater kam als Soldat ohne Armee in Holland an, lebte arbeitslos im Lager und wollte nichts lieber als möglichst schnell wieder nach Ambon. Der Vater lernte einen Beruf, zog in ein Reihenhaus um und wollte nichts lieber als die Anerkennung seiner Mitbürger. Der Junge schmiss die Schule, lebt von Gelegenheitsjobs und will nichts lieber, als im Schoß der niederländischen Gesellschaft das Erbe seiner Vorfahren pflegen.

Die Molukker: koloniale Erbmasse mit einer inzwischen 50-jährigen Geschichte im „Mutterland“ (siehe Kasten). Anfangs „Ambonesen“ genannt, waren sie nach dem Zweiten Weltkrieg und der Unabhängigkeit Indonesiens (1949) die erste größere Einwanderergruppe in den Niederlanden. Heute sind sie die erste Gruppe Immigranten, deren dritte Generation bereits arbeitet. Und ausgerechnet 50 Jahre nach Ankunft des ersten Schiffes mit Molukker-Familien an Bord kommt ein Forscher der Rotterdamer Erasmus-Universität zu dem irritierenden Ergebnis, dass die Integration der dritten Generation im Vergleich zur zweiten stagniert.

Knapp 1.200 Molukker zwischen 15 und 65 Jahren hat der Soziologe Justus Veenman nach Ausbildung, Arbeit und sozialem Umfeld befragt. In seiner Studie: „Junge Molukker in den Niederlanden: Integration mit angezogener Bremse“, die er am 21. März anlässlich des 50. Jahrestags der Ankunft der ersten Familien der Regierung überreicht hat, zieht der Rotterdamer Professor Bilanz. Jeder Fünfte geht demnach ohne Abschluss von der Schule. 85 Prozent der Jugendlichen schaffen höchstens einen Haupt- oder Realschulabschluss und schneiden damit im Schnitt schlechter ab als die Generation ihrer Eltern.

Damit stehen junge Molukker heute kaum besser da als ihre Großeltern. Hollands Bürokraten hatten sie 1951 bewusst in Lagern auf dem Lande untergebracht, ohne Kontakt zur Bevölkerung, ohne Arbeitserlaubnis; schließlich sollte ihr Aufenthalt ein vorläufiger sein. Bis heute spricht kaum eine(r) der Alten fließend Holländisch. Weil in den Familien die eigene vor der Landessprache rangiere, mangelhafte Sprachkenntnisse somit von Generation auf Generation übertragen würden, sei die Position junger Molukker in Schule und Beruf keine große Überraschung, so Veenman. Da aber die zweite Generation bis auf wenige Ausnahmen die Herausforderungen der Gesellschaft angenommen habe, sei die neueste Entwicklung dem „niedrigen Ambitionsniveau“ der dritten Generation geschuldet. Die Gründe für Verweigerung und Rückzug sind dabei laut Veenman in der molukkischen Kultur zu suchen, in der westliche Werte wie Karriere, Selbstständigkeit und Individualismus keine so große Rolle spielen (s. Interview).

Eine Art Rückbesinnung hatte es schon in der zweiten Generation gegeben, wenn auch aus anderen Motiven und mit Folgen, die das Verhältnis zwischen Holland und seiner molukkischen Gemeinschaft für lange Zeit belasten sollten. Radikale Verfechter einer Freien Republik der Südmolukken (RMS) wollten nach zwei Jahrzehnten der Duldsamkeit ihrer Väter endlich ein Zeichen setzen. Zunächst gegen den Staat Indonesien, der im Jahre 1950 trotz Autonomieversprechens ihre Heimat okkupiert hatte und die Menschen auf den Inseln fernab von Jakarta drangsalierte. 1970 stürmten junge Molukker die Wohnung des indonesischen Botschafters in Wassenaar, weil Indonesiens Diktator Suharto sich während seines Staatsbesuchs in Holland geweigert hatte, mit den Führern der RMS zu reden. Dabei kam ein Polizist ums Leben.

Dann aber sollten die Niederlande den ganzen aufgestauten Frust der Generation der Kinder zu spüren bekommen. Inspirieren ließen sich die jungen Molukker durch die Aktionen von PLO und ETA. Wegen des „Verrats an unseren Vätern“ und weil „Holland die Diktatur in Indonesien stützt“, griffen sie zwischen 1975 und 1978 mehrmals zu Gewalt, um die Öffentlichkeit auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Zweimal entführten sie dabei einen Zug, einmal besetzten sie eine Schule. Bei insgesamt fünf Geiselnahmen starben ein Zugführer, vier Passagiere, zwei Beamte und sechs Molukker.

Auch heute wieder sehen sich viele Molukker darin bestätigt, dass die Niederlande nichts für ihr Volk tun. Zwar hat Soziologe Veenman ein übergeordnetes politisches Ideal, wie die RMS eins war, bei der dritten Generation nicht feststellen können. Aber seit vor gut zwei Jahren auf den Molukken der Konflikt zwischen Muslimen und Christen in offene Gewalt ausartete, Holland aber die Forderung der Exil-Molukker nach Vermittlung zurückweist, ist die Enttäuschung bei den Jungen groß. „Sie sind ständig mit der Situation dort beschäftigt, schwänzen die Schule, gehen nicht zur Arbeit“, erklärt Justus Veenman. „Identität zählt vorerst mehr als eine sichere Zukunft in Holland.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen