nebensachen aus san salvador
: Besondere Formen der Verbrechensbekämpfung

Freie Sicht auf den Herrn im Fonds

Mein Wagen musste mal wieder in die Werkstatt. Nicht etwa, weil ihm etwas fehlt. Nein, er hat etwas zu viel: Seine Scheiben sind abgedunkelt, und das ist nicht mehr erlaubt. Also müssen die teuren Folien, die der Vorbesitzer extra aufbügeln ließ, mühsam wieder abgekratzt werden.

Mir haben die dunklen Scheiben sowieso nie gefallen. Selbst meine verbeulte Karre sah damit noch ein bisschen aus wie ein Mafia-Schlitten. Aber meine Frau hat den Sichtschutz geschätzt. Sie war mit dem Wagen häufig alleine im Hinterland El Salvadors unterwegs, wo es von Wegelagerern wimmelt. Sie war fest davon überzeugt: Wenn die Räuber von außen nicht erkennen können, ob innen eine einzige Frau oder aber ein Trupp schwer bewaffneter Männer sitzt, nehmen sie lieber Abstand von einem Überfall. Tatsächlich ist ihr nie etwas passiert.

Da jedoch auch Polizisten einem solchen Wagen nicht ansehen können, ob drinnen eine harmlose Frau sitzt oder ob gerade eine Entführerbande ihr Opfer abmurkst, beschloss der Staatspräsident, abgedunkelte Scheiben verbieten zu lassen. Sein Polizeichef arbeitete einen Gesetzentwurf aus, das Parlament stimmte zu. Die entsprechende Verordnung ist bereits in Kraft.

Höchste Zeit also, meinen Wagen in die Werkstatt zu bringen. Mein Mechaniker meint trotzdem, ich habe voreilig gehandelt und würde nur Geld zum Fenster hinauswerfen. Denn zwischen dem Inkrafttreten eines Gesetzes und seiner Anwendung vergehen in El Salvador oft Jahre. Manche Gesetze werden sogar vergessen, bevor sie auch nur einmal angewandt worden sind. Zum Beispiel das Gesetz über die Pflichtversicherung für Autos. Es gilt seit ein paar Jahren. Ich habe auch schon mehrfach versucht, meines zu versichern. Aber es ist mir nie gelungen. Ich bekomme immer dieselbe Auskunft: Haftpflichtversicherungen gegen Schäden an Dritten werden nur für Neuwagen abgeschlossen. Nicht aber für 15 Jahre alte Autos. Das sei viel zu unsicher.

Die meisten Autos auf El Salvadors Straßen sind 15 Jahre oder noch älter. Das weiß auch die Polizei, und deshalb wird das Gesetz über die Pflichtversicherung bis heute nicht angewandt. Dem Gesetz über verdunkelte Scheiben droht ein ähnliches Schicksal. Seine Anwendung wurde vom Parlament schon zwei Mal verschoben. Das erste Mal, weil den Abgeordneten eingefallen war, dass es auch getönte Scheiben gibt. Also beschloss man, eine 35-prozentige Verdunkelung sei gerade noch erlaubt. Das hatte die zweite Verzögerung zur Folge. Denn nun streitet sich das Parlament um die Interpretation der Änderung. Bedeutet sie, dass mindestens 35 Prozent des Lichts die Scheiben passieren muss oder dass höchstens 35 Prozent abgehalten werden dürfen? Bis diese Frage entschieden ist, wird sich kein Salvadorianer die Verdunkelung von den Scheiben kratzen lassen. Alle werden sie bis zum letzten Tag warten. Die Autowerkstätten werden dann völlig überlastet sein, das Parlament wird ein Einsehen haben und die Anwendung des längst gültigen Gesetzes ein weiteres Mal verschieben. Und so weiter. Bis das Gesetz vergessen ist.

TONI KEPPELER