Keine Frage allein der Ehre

Analysten stehen zwischen vielen Interessengruppen. Um mehr Unabhängigkeit zu gewährleisten, arbeiten Fachleute derzeit an einem freiwilligen Kodex für alle, die Anlageempfehlungen geben

von BEATE WILLMS

Die Ruhe ist beinahe gespenstisch: Schritt für Schritt arbeitet sich der Neue-Markt-Index (Nemax) aus den Untiefen heraus. Aber selbst die noch vor einem Jahr so marktschreierisch aufgetretenen Gurus und Anlagespezialisten in den Fernseh-Börsenshows präsentieren ihre Empfehlungen derzeit geradezu vorsichtig – offenbar eine Konsequenz aus den Skandalen um mögliche Insidergeschäfte und Frontrunning, die die Börsenentwicklung in den letzten Monaten begleitet haben. Denn auch wenn sich etwa die Anschuldigungen gegen die 3sat-Börsenstars Prior und Förtsch letztlich vor Gericht nicht halten ließen, haben sie doch dafür gesorgt, dass das Vertrauen von Kleinanlegern angeknackst ist.

Vielen scheint erst in diesem Zusammenhang aufgegangen zu sein, dass es nicht nur keine Garantie auf Kursgewinne, sondern auch keine völlig unbeeinflussten Aktienempfehlungen geben kann. Schließlich sind auch die seriösesten Analysten in den Researchabteilungen der Banken bei ihrer täglichen Arbeit oftmals dem Zwiespalt zwischen ihren beiden Haupteinnahmequellen ausgesetzt: Auf der einen Seite erstellen sie Emissionsstudien und Präsentationen für Unternehmen, die ihre Bank an die Börse bringen will. Auf der anderen liefern sie Bankstudien über Unternehmen als Zugabe zum Wertpapierservice an Fonds. Die Unternehmen erhoffen sich dabei möglichst positive Anlageurteile, die Fondsmanager aussagekräftige ausgewogene Analysen.

Dass die Bundesregierung das Problem nun in die Hand genommen hat, kommt nicht von ungefähr. Schließlich spielt der Neue Markt für ihre Mittelstandspolitik eine zunehmend wichtigere Rolle, und „der Ansehensverlust der Aktie als Geldanlage“ könnte die Akzeptanz der Rentenreform erheblich beeinträchtigen. Im Auftrag des Wirtschaftsministeriums, in dem sich die parlamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf (Grüne) als treibende Kraft profiliert hat, haben der Erlanger Professor Wolfgang Gerke und der Leiter des Deutschen Aktieninstituts Rüdiger von Rosen einen „Kodex für anlegergerechte Kapitalmarktinformationen“ entworfen, der nun mit den beteiligten Gruppen diskutiert werden soll. Wenn es nach den Vorstellungen von Wolf geht, soll die kurz „Analystenkodex“ genannte Vereinbarung schon bis zur Sommerpause und vermutlich in Form eines privatwirtschaftlichen Vertrags formuliert sein. Dienlich soll er auch Einzelpersonen sein, zudem Banken und Berufsverbänden wie etwa der Analystenorganisation DFVA oder dem Deutschen Presserat.

Ob es bei der Freiwilligkeit bleibt, hänge allerdings davon ab, ob sich der Kodex durchsetze, heißt es im Wirtschaftsministerium. Sollte der Kodex sich nach zwei Jahren nicht bewährt haben, werde man auch gesetzliche Regelungen in Betracht ziehen.

Nach dem bislang vorliegenden Entwurf richtet er sich nicht nur an Analysten, Herausgeber von Börsenbriefen und Postwurfsendungen sowie Anlageberater in Fernsehshows, sondern explizit auch an alle Journalisten, die regelmäßig über Wertpapiere berichten. Diese sollen bei künftigen Aktien-Empfehlungen alles offen legen, was zu einem Interessenkonflikt führen könnte, insbesondere wenn sie die analysierte Aktie im eigenen Depot haben. Die Gutachter schlagen eine meldepflichtige Grenze von 5.000 Euro vor. Analysten müssten auch mitteilen, in welcher Beziehung ihre Bank zum beurteilten Unternehmen steht: Hat sie beispielsweise Aktien platziert, selber Anteile oder gar einen Sitz im Aufsichtsrat?

Wenn Analysten oder Journalisten ein Unternehmen im Rahmen ihrer Arbeit kontinuierlich verfolgen, soll ihnen sogar jeglicher Handel mit dessen Aktien verboten sein. Family-and-friends-Programme wären ebenso tabu wie Geschenke, die mehr als 200 Euro wert sind. Banken müssen sich verpflichten, ihre Abteilungen Research und Investment durch so genannte Chinese oder Fire Walls strikt zu trennen.

Als Kontrollgremium für die Einhaltung des Kodex schlagen Gerke und von Rosen einen Beirat beim Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel vor. Neben dem BAW-Präsidenten sollen ihm auch Vertreter des Deutschen Presserates, von Analystenverbänden und Banken sowie Anlegerschützer angehören. Der Beirat soll auch von Kleinanlegern angerufen werden können und Verstöße gegen den Kodex ahnden. Hierbei denken die Autoren an schriftliche Verwarnungen, aber auch an Bußgelder bis zu 50.000 Euro für Analysten und Journalisten sowie 500.000 Euro für Banken und Unternehmen, ja, sogar an den Ausschluss aus Berufsverbänden.

Die ersten Reaktionen sind unterschiedlich. Schon im Vorfeld hatte die Analystenvereinigung DFVA ihre eigenen Standesregeln verschärft. Danach müssen Analysten künftig potenzielle Interessenkonflikte ohnehin darstellen und dürfen nicht mehr mit Aktien handeln, über die sie berichten. Als Höchststrafe sind Bußgelder bis zu 5.000 Euro vorgesehen. Auch hier sollen Privatanleger demnächst vor das so genannte Standesgericht ziehen können. Es gebe „also eigentlich keinen Grund für den geplanten Kodex“, heißt es folglich beim DFVA, auch wenn es ein Fortschritt sei, dass andere Berufsgruppen einbezogen würden. Sperren werde man sich deshalb nicht. Die Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW) dagegen bemängelt an der DFVA-Regelung, dass sich „die Analysten ja quasi selbst“ kontrollierten. Der Kodex sei begrüßenswert.

Auch viele Medien haben längst zur Eigeninitiative gegriffen. So hat die Verlagsgruppe Handelsblatt des Holtzbrinck-Konzerns Anfang des Jahres gar gerichtlich verfügen lassen, dass ihre Redakteure ihren Aktienbesitz offen legen müssen. Der Chefredakteur der Anlegerzeitschrift Tele-Börse aus der gleichen Gruppe möchte ihnen darüber hinaus ganz verbieten, Anteile an Firmen zu halten, über die sie regelmäßig berichten. Auch beim Aktionär gilt laut Herausgeber Förtsch inzwischen ein Verbot, mit Aktien des Neuen Marktes zu handeln, eine spezielle Software soll Aktienhandel per Internet vom Arbeitsplatz aus unmöglich machen. Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur bei Finanztest, hält es zwar prinzipiell für „vernünftig, wenn Journalisten sich nicht in den Feldern engagieren, in denen sie schreiben“, das gelte aber auch für Reise- oder Autojournalisten. Offizielle Beschränkungen seien zudem „ein heftiger Eingriff ins Arbeitsrecht“. Finanztest gebe keine Empfehlungen für Einzeltitel und falle deshalb wohl nicht unter die geplante Regelung. Allerdings sichere man sich gegen mögliche Interessenkonflikte ab, indem Texte grundsätzlich von mehreren Personen geprüft würden.

Am deutlichsten wird die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK), die das ganze Vorhaben für „billigen Aktionismus“ hält. Es gebe keine unabhängigen Analysten, deshalb nütze es nichts, Berichtsfelder oder Aktiendepots einzuschränken. Wichtig sei, die wirtschaftlichen Zusammenhänge, in denen die jeweiligen Analysen zustande kommen, offen zu legen. Dafür allerdings reiche eine freiwillige Lösung nicht aus.