„Gesunde Kinder werden getötet“

Der Arzt und SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wodarg über die neue, fraktionsübergreifende Bundestagsinitiative zur Biopolitik – und die Gründe, ein Verbot der Pränataldiagnostik zu fordern

taz: Herr Wodarg, Sie haben die Gründung einer fraktionsübergreifenden Initiative im Bundestag zur Biopolitik angekündigt. Warum?

Wolfgang Wodarg: Mit unserem Bündnis Menschenwürde wollen wir das Feld diesseits des Rubikons erkunden. Wir wollen versuchen aufzuzeigen, dass es dort sehr viel Platz gibt. Und dass wir dort viele gute Dinge jetzt schon tun können, ohne dass wir die Tabus, die unsere Gesellschaft bisher noch zusammenhalten, in einem der modernen Labors brechen müssen.

Was ist das konkrete Ziel?

Es wird auch nach Aussagen der Fraktionsspitzen so kommen, dass viele der anstehenden Fragen wie Präimplantationsdiagnostik oder die mögliche Neuordnung des Embryonenschutzgesetzes ohne Fraktionszwang im Parlament entschieden werden. Wie dann der einzelne Abgeordnete abstimmt, bleibt allein seinem Gewissen überlassen. Für einzelne Abgeordnete ist es sehr schwierig, Gesetzesvorlagen zu erarbeiten. Hier ist es wichtig, dass wir uns zusammentun in einem gemeinsamen Forum. Dann kann man auch überfraktionell einen Antrag formulieren.

Das heißt: Die Gegner von Embryonenforschung und Präimplantationsdiagnostik schließen sich im Bundestag zusammen?

Wir haben Grundpositionen formuliert. Wir müssen ja alle irgendwann Farbe bekennen. So auch zu den beiden von Ihnen genannten Punkten: Die PID halten wir genauso wie andere selektive Techniken vor oder nach der Geburt für nicht vereinbar mit der Menschenwürde. Vor allem die Selektion, die dabei stattfindet. Dann haben wir gesagt, dass wir die Verwendung von embryonalen Stammzellen für nicht richtig halten und dass das Klonen von Menschen weiterhin verboten sein muss.

Auf dem IPPNW-Kongress ist wiederholt die derzeitige Praxis der Pränataldiagnostik scharf kritisiert worden. Es wurden sogar Verbote gefordert.

Viele Eltern sehen die vorgeburtliche Diagnostik ja oft als Bereicherung an. Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass mehr gesunde Kinder durch die Nebenwirkungen der Fruchtwasseruntersuchung und Chorionzottenbiopsie umgebracht als Behinderungen erkannt werden. So manches gesunde Kind wird nur durch diese Diagnostik verhindert und abgetötet. Die Ärzteschaft hat es nicht zustande gebracht, hier den Missbrauch in Schranken zu halten. Deshalb denke ich, wir als Gesetzgeber müssen das regeln.

Gibt es dazu bereits konkrete Vorstellungen?

Es gibt dazu mehrere Handlungsoptionen. Wir könnten zum Beispiel die Strafbestimmungen verschärfen. Es wäre aber schön, wenn als Leitlinie für die Pränataldiagnostik gelten könnte, dass die Diagnostik nur dann durchgeführt werden darf, wenn konkretes Leid – zum Beispiel eine Krankheit – verhindert werden kann und wenn die Ärzte auch helfen können. Das heißt: Keine Diagnostik ohne therapeutische Konsequenzen! Die Selektion von Menschen wegen Behinderung muss verboten sein.

INTERVIEW: WOLFGANG LÖHR