Überlebensstrategien
: Polizeigriff ins Auge

■ Nierenkranker Asylbewerber von Polizisten am Arztbesuch gehindert

Simon Traoré aus Sierra Leone hat Polizisten aus Bremen Nord wegen Misshandlung und Körperverletzung angezeigt. „Einer der Polizisten hat mir einen Finger ins Auge gedrückt“, sagt der 20-jährige Asylbewerber. Besonders problematisch: Er ist schwer nierenkrank und hatte am Tag seiner Begegnung mit der Staatsmacht eigentlich einen Dialyse-Termin.

Traoré war nach eigenen Angaben auf dem Weg zum Arzt, als ihn am Montag vergangener Woche zwei Polizisten vom Lesumer Revier anhielten und seine Papiere sehen wollten. Weil er seine Aufenthaltsduldung kurz zuvor verloren hatte, zeigte er stattdessen seinen Krankenschein mit seinem Namen und der Adresse seines Asylbewerberwohnheims in der Peenemünder Straße. Aus dem Schein geht hervor, dass er alle zwei Tage zur Dialyse ins Krankenhaus muss und auf eine Nieren-Transplantation wartet. Bis hierher sind Traorés Angaben mit denen der Polizei identisch.

Sechs gegen einen

Als er in seinen Taschen nach anderen medizinischen Ausweisen suchte, hätten die Beamten ihn festgehalten und einen Arm umgedreht, berichtet Traoré. Daraufhin habe er sich gewehrt – mit dem Erfolg, dass die Polizisten Verstärkung anforderten und ihn zu sechst auf den Boden warfen und unter anderem am Auge verletzten.

Die beteiligten Polizisten haben eine andere Version zu Papier gebracht. „Der Schwarzafrikaner“ sei aggressiv geworden, als er mit zur Wache sollte, um dort seine Personalien zu überprüfen. Um das „polizeiliche Ziel“ weiter verfolgen zu können, so zitiert Sprecher Chris-toffersen den Bericht, hätten sie ihn „ruhig gestellt“ und „fixiert“: am Boden und mit Handfesseln. „Das war polizeilich absolut in Ordnung“, sagt Chris-toffersen. Schließlich könne ja jeder irgendwessen Krankenscheine vorzeigen.

Kein konkreter Verdacht

Außerdem würden sich „zumindest einige der Schwarzafrikaner im Peenemünder Wohnheim sich neben der Sozialhilfe als Dealer etwas dazuverdienen“. Deshalb dürften in diesem Bereich auch „Personen ohne konkreten Anfangsverdacht kontrolliert“ werden, heißt es im Polizeideutsch weiter. Ob man in diesem Fall der „Verdachtsperson“ hätte Glauben schenken sollen und ihn etwa zum Heim oder zum Arzt hätte fahren sollen, darüber möchte der Sprecher nicht spekulieren. Die beiden Beamten seien „Dienstältere“ und er habe keinen Grund an ihrem Vorgehen zu zweifeln. Dafür hat Traoré eine Anzeige wegen „Widerstands gegen die Vollstreckung“ am Hals. Von einer Augenverletzung ist Chris-toffersen nichts bekannt, sondern nur von einer Verletzung an der Augenbraue.

Willkürliche Polizeigewalt

Die Sozialarbeiter hingegen bestätigen, dass Traorés Auge immer noch blutig ist. Wegen dieser Verletzung sei er nach dem Vorfall im Krankenhaus behandelt worden, anstatt zu seinem Dialyse-Termin zu gehen. Der Polizeisprecher hat für den Vorfall noch eine Erklärung parat: „Schwarzafrikaner reagieren häufig aggressiv gegenüber Polizisten, weil die Polizei in ihren Heimatländern oft willkürlich verfährt“, vermutet Chris-toffersen. „Das ist für die eine Überlebensstrategie.“ ei