der bezopfte pianist von JÜRGEN ROTH
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Apfelback ist ein guter Kneipengänger. Gewöhnlich schlendert er eine Straße entlang, entdeckt ein Wirtshausschild und schreitet auf die Tür unter dem Wirtshausschild zu. Er ergreift die Türklinke, drückt sie hinunter, die Tür öffnet sich einen Spalt, und er steht an der Schwelle zum Kneipenraum.

Das nähere Betreten der Wirtsstube verursacht ebenso wenig Probleme. Das Murmeln der Gäste empfängt Apfelback, ohne dass es besondere Beachtung verlangte. Niemand mustert den Neuankömmling. Apfelback taucht ein in die Atmosphäre und wählt einen Tisch, an dem er bequem bestellen kann.

Das vorsätzliche Aufsuchen von Apfelbacks Lieblingslokalität „Opa Runkel“ erleichtert zusätzlich die verabredete Anwesenheit zweier Freunde. Apfelback sieht die Kartenkumpel, grüßt sie beim Herzukommen und nimmt Platz, und das Kartenspiel beginnt.

Die Geräusche sind angenehm. Der aktuelle Verlierer erbittet die Gelegenheit, noch eine kleine Anmerkung machen zu dürfen. Dem wird stattgegeben, und alles findet einen weiteren günstigen Verlauf. Plötzlich erklingt Klavierspiel vom anderen Ende des Raumes, rhythmisch unregelmäßig, harmonisch unausgegoren, stilistisch schwankend zwischen Ragtime, Boogie und blauäugigem Blues. Apfelback verzieht das Gesicht. Nach einigen Minuten wächst die Störung ins kaum länger Erträgliche.

Apfelback fällt die Entscheidung, gegen das unaufgeforderte Klavierspielen an öffentlicher Stätte einzuschreiten. Es ist ganz wider seine Art. Apfelback hält es gemeinhin weder für möglich noch nötig, angesichts des Klavierspielens in Kneipen kulturkritisch die Stimme zu erheben. Dieser absonderlich studentische, bezopfte und dem Anschein nach lustig betrunkene Pianist aber möge doch, gibt er ihm zu verstehen, daheim trainieren und bitte seinen Ausdruck für sich behalten. Wenn er meine, spricht ihn Apfelback freundlich an, sich ausdrücken zu müssen, sei es nicht vonnöten, dass man hic et nunc an seinen inneren Angelegenheiten Anteil zu nehmen hätte. Der Pianist lächelt, fragt, ob es denn nicht gefalle, und unterbricht die Darbietung. Ein Pfeifenmensch beugt sich vom Hocker zum ihm herunter und flüstert etwas Verschwörerisches.

Als die erste Runde Ramsch gegeben wird, stolpert „Take Five“ durch den Raum. Nein, sagt ihm Apfelback, schon wieder neben dem Pianisten stehend, es sei nicht gelungen, was er veranstalte, und da man ihn nicht gebeten hätte, hier heute aufzuspielen, so sei ihm unterdessen versichert, dass er, beende er nicht augenblicklich den Auftritt, seine, Apfelbacks, Zeche zu begleichen habe. Erneut stoppt er die Vorführung, und ein Kartenkamerad klagt, unterhalten werde man überall, gegen seinen Willen. Im Übrigen, das Gitarrezupfen exklusive oder inklusive Gesang, ob spanischer, libyscher, bayerischer oder turkmenischer Art, sei genauso wenig gern gesehen respektive gehört.

Das gehört sich generell nicht, pflichtet Apfelback bei, und gerade ereilt den fröhlichen Pianisten zum dritten Mal eine Stimmung. Apfelback verlässt „Opa Runkel“.