Heimspiel ohne Jan Ullrich

Mit prominenten internationalen Mannschaften am Start buhlt die heute beginnende Deutschland-Tour um Aufwertung im Radsportgeschäft. Doch nicht einmal Team Telekom schickt die erste Garnitur

aus Hamburg JÖRG FEYER

David Plaza ist ein Pedal-Ritter der melancholischen Gestalt. Ein bisschen wehmütiger noch als ohnehin schon sah der schmale Spanier mit den traurigen Augen Anfang April aus. Da sollte er bei der Präsentation der Deutschland-Tour in Hamburg Auskunft darüber geben, wie denn sein Sieg bei der Rundfahrt 2000 in der Heimat aufgenommen worden sei. Die Medien-Resonanz, musste der Festina-Profi da berichten, sei doch eher mau gewesen. Der Spanier als Sportreporter sieht halt zuerst sich selbst (Vuelta) und dann noch mal sich selbst (Regional-Rundfahrten) – und dann vielleicht noch zu Tour und Giro hinüber.

Doch voreilige Schlüsse aus der Ignoranz dem erfolgreichen Landsmann in der Fremde gegenüber sind fehl am Platz. Als Kaffeefahrt zum Eierschaukeln kann die Deutschland-Tour niemand mehr abtun. Dazu reichte im letzten Jahr ein Blick auf Michele Bartoli. Der italienische Top-Profi war nach der Königsetappe über den Kandel mächtig sauer auf Tagessieger Udo Bölts gewesen. Der Heltersberger durfte auf Geheiß der Telekom-Leitung im Finale keine Führungsarbeit mehr verrichten, um ja nicht Tobias Steinhauser von der GS-II-Konkurrenz Gerolsteiner in Position für den Gesamtsieg zu fahren.

Für die Deutschland-Schleife des Jahres 2001, die heute in Hamburg startet und nach acht Etappen und gut 1.200 Kilometern am Pfingstmontag in Stuttgart ins Ziel rollt, vermeldet der Veranstalter denn auch stolz die Präsenz von gleich vier der fünf Top-Teams der aktuellen Weltrangliste. Freilich: Nicht überall wo GS I draufsteht, ist bei derartigen Rundfahrten dann auch GS I drin, zumal Lotto und Mapei parallel beim Giro d’Italia unterwegs sind. So rollte eine vermeintliche Klasse-Mannschaft wie Domo in der Friedensfahrt nur ambitionslos mit, derweil die Fahrer von Agro-Adler und Wiesenhof entfesselt um den Etat für die nächste Saison fuhren.

Letzte Woche beklagten die beiden ostdeutschen GS-III-Teams enttäuscht, dass sie zur Deutschland-Tour nicht geladen wurden. Man lade generell „nur GS I und GS II“ ein, heißt es dazu kühl von Seiten des Veranstalters. Rennleiter Roland Hofer ergänzt noch, wenn, dann „müsste man alle GS-III-Teams einladen, aber das geht nicht.“ Hintergrund dieser Strategie ist, dass die Deutschland-Tour fürs nächste Jahr auf eine weitere Aufwertung der sportlichen Kategorie (von 2.3 auf 2.2) durch den Radweltverband UCI hofft. Radsport paradox: Während die Tour de France nach der fragwürdigen Nominierung von gleich fünf zweitklassigen französischen Teams zum patriotischen Talentförderungsschuppen mutiert ist, buhlt die Deutschland-Tour um internationale Teams für die Visitenkarte.

Dennoch gewinnt die Deutschland-Tour auch im dritten Jahr ihre Prise Brisanz eher aus nationalen Belangen, wozu – ein weiteres Paradox – die Absage des Heroen Jan Ullrich sogar noch beigetragen hat. Seine Formkurve in Hinblick auf das große Saisonziel Tour de France ist erstmals beim Giro auf dem Prüfstand, da kann sich die heimatliche Rundfahrt ganz dem Prestige-Duell der hiesigen GS-I-Teams Coast und Telekom zuwenden.

Beim Heimspiel stehen beide unter Druck. Die Hausmacht aus Bonn musste 2000 zusehen, wie der Spanier Plaza ihrem Andreas Klöden den schon gebuchten Gesamtsieg im Zeitfahren entriss. Falls der Cottbusser es nach maladem Frühjahr noch nicht wieder reißen kann, stehen mit Alexander Winokurow und Steffen Wesemann gleich zwei weitere Kandidaten für einen Magenta-Gesamtsieg bereit. Die Emporkömmlinge aus Essen schlugen nach der Nichtberücksichtigung für die Tour de France sogar die Giro-Einladung aus, um sich vor der Haustür des Hauptsponsors mit dem Gesamtsieganwärter Alex Zülle und Kletterkünstler Fernando Escartín angemessen präsentieren zu können; für einen Parallelauftritt, wie ihn Telekom 2001 erstmals fährt, reicht die Klasse des Kaders (noch) nicht. Vergessen machen möchte Coast nicht zuletzt den Doping-Fall Roland Meier, der dem sportlichen Leiter Wolfram Lindner seit Mitte Mai doch ziemlich die Laune verhagelt. Von „fristloser Kündigung“ für den Schweizer war zunächst die Rede, inzwischen wird wieder mal abgewiegelt und das neue Testverfahren samt positiver Epo-Probe in Frage gestellt.

Coast oder Telekom? Der lachende Dritte könnte in der Kulisse lauern. Er könnte ein Gerolsteiner-Trikot tragen, wenngleich das beste deutsche GS-II-Team nach dem Ausfall von Torsten Schmidt (Operation) nicht in Top-Besetzung starten kann. Er könnte auch einen Namen tragen, den noch niemand auf dem Zettel hat. So wie David Plaza im Vorjahr. Der möchte „am liebsten wieder gewinnen“. Ein weiterer Podiumsplatz würde wohl selbst dem traurigen Spanier ein Lächeln abringen.