Der Swing der Adenauerjahre

Götz Alsmann ist TV-Moderator, Sänger, Musiker und Entertainer – nicht schlecht für einen Westfalen. Mit dem Album „Filmreif“ erinnert er an die Zeit, als der deutsche Schlager noch Stil und Witz hatte

von JENNI ZYLKA

Wie wohl Götz Alsmanns Handy klingelt? Der Mann, für den „Musik von Langhaarigen“, also Musik nach 1965, nicht existiert – ausgenommen vielleicht der Two-Tone-Ska der frühen Achtziger – und der einen bei der Frage, ob er Songs auf MP 3 aufnimmt, anguckt wie ein 52er „Mercedes 300 Adenauer“, dem ein „Ford Galaxy“ gerade die Parklücke geklaut hat – kann so ein Mann digital piepende Klingeltöne überhaupt ertragen? Beim Interview im Salon eines Berliner Hotels, natürlich schnieke im 40er-Jahre-Anzug, die Alsmann-Tolle hochgejuckelt, hat er das Telefon zwar nicht mit, singt aber bereitwillig die eingespeicherte Klingelmelodie vor. Die Basis-Linie für jeden Rock’-n’-Roll-Song der Welt, ein Boogie-Woogie-Gerüst im Bluesschema: tonka tonka tonka tonka tonka tonka tonka.

Boogie-Woogie ist eine der vielen Musikrichtungen, die vor 1965 datieren und die Götz Alsmann mag. Und beherrscht. In Wort und Ton. Dazu kann er noch Rockabilly, Rock ’n’ Roll, Rhythm ’n’ Blues, Twist, Jazz, Dixieland, Ska, Samba, Mambo, Rumba und ein paar dazwischen. Nicht schlecht für einen Westfalen. Er hat’s aber nicht nur in den Hüften, sondern vor allem in Händen und Stimme: Den Schmelz, den Dean Martin in „When the moon hits your eye like a big pizza pie that’s – Amore“ legt, den legt der Musiker, Sänger, Moderator und Witzereißer in „Ich könnte mich am Nordpol nicht verlieben / Und gäb’s dort auch die schönsten Fraun der Welt / Mein Herz kann leider Kälte nicht ertragen / Denn es ist nur auf heiße Liebe eingestellt“. Dazu klimpert er leichthin die jazzigsten Akkorde, die je zu diesem Bully-Buhlan-Song geklimpert wurden. Wenn einer einen solchen Text, ein solches Arrangement vor dem Abrutschen in eine wabernde Nachkriegsschlagersoße retten kann, dann Götz.

Götz Alsmann ist 44. Das bedeutet, er hätte, zum Beispiel aus Entsetzen über Mode und Musik seiner Teenagerjahre, vielleicht als Reaktion auf ein traumatisches Erlebnis mit einer Suzie-Quatro-Platte, zur Prä-Rock-Phase finden können. Die Nostalgie-Disposition kam jedoch aus rein ästhetischen Gründen: „Ich bin 1969 mit meinem Mitgliedsausweis der Stadtbücherei in die Musikabteilung gegangen und habe alle Jazzbücher ausgeliehen, die da waren. Alle fünf. Da gab’s Fotos von Jazzmusikern aus den 20ern und 30ern, von Cab Calloway, Mel Tormé und Nat King Cole, mit Stehkragen und diese weichen, kurzen Krawatten. Ich hab mich einfach in diese Optik verliebt. Auch mein Vater, ein ehemaliger Boxer, ein Athlet, sah so aus. Ich habe ihn angebetet!“ Mit 13 durfte er so lange aufbleiben, bis die Filme aus den 40ern liefen: „Robert Mitchum in Baumwollhosen und Polohemd, mit kurzen Haaren und ausrasiertem Nacken. Ich dachte, boah, was war das für ’ne Zeit, in der Männer in ihrer Freizeit so aussahen ... das ist doch Klasse! Die alte Musik habe ich ja eh geliebt.“ Natürlich spielte er damals schon hervorragend Klavier, dazu Banjo.

Götz’ zehnjähriger Sohn spielt auch Klavier. Die Alsmanns wohnen in Münster, Götz ist seit 14 Jahren mit seiner Sandkastenliebe verheiratet. Und die sorgt, wie in Künstlerehen so üblich, dafür, dass er den Rücken frei hat: „Meine Frau macht das grandios“, sagt der viel verlangte Mann und meint neben dem Alltagsleben-Schmeißen auch noch das Abschirmen von der Öffentlichkeit. Sein Privatleben ist so privat, wie es überhaupt nur geht bei einem Menschen, der neben den „Zimmer frei“-Aufzeichnungen mit Christine Westermann noch in Operetten mitspielt, zum zweiten Mal die Verleihung des deutschen Filmpreises moderiert und regelmäßig mit seiner Band auf Tour geht – momentan mit der neuen Platte „Filmreif“.

Götz, der Tausendsassa, der „singende Karfunkelstein“, ist bekannt wie ein bunter Hund. Aber auf ihm wird kaum mit Schmackes herumgeprügelt, wie bei Fernsehleuten und Musikern sonst üblich. „Musikkritiker sind ja oft gescheiterte Musiker. Vielleicht haben die einfach nicht das Gefühl, dass ich ihnen etwas wegnehme ...“ Vielleicht bietet er auch einfach keine Angriffsfläche für Neider: Er kann wirklich hervorragend Klavier spielen, wirklich singen, wirklich spontan lustig sein. Man kann seine Musik albern, oberflächlich, schlagerschlimm und altmodisch finden, kann über die Tolle und/oder die Brille und/oder die Texte lachen. Aber was er macht, macht er gut. Das hat ihm von den Anfängen als „Prof. Bop“, als Moderator einer Jive-Rhythm-’n’-Blues-Sendung im WDR-Radio über Fernsehshows wie „Roxy“ und „Avanti“ bis hin zur Erfolgsshow „Zimmer frei“ geholfen. In letzter Minute.

Denn das Konzept für die Sendung, in der Prominente ihre Einzugsberechtigung im Schalk-Duell mit Götz und der Journalistin Christine Westermann beweisen und sich dabei „behütet blamieren“ können, stand zwar. Aber die Moderatoren noch nicht. Man wollte „einen Mann aus der Unterhaltung und eine Frau aus dem Journalismus. Das hätten theoretisch auch Karl Moik und Sabine Christiansen sein können.“ Da war aber, Gott sei Dank, der WDR vor.

Auf der aktuellen „Filmreif“-Tour wird Götz bei seinen Songs, die aus alten Filmen stammen oder „gut in alte Filme gepasst hätten“, wieder begleitet von den Musikern, die teilweise seit 25 Jahren mitwirbeln. Denn der Westfale an sich ist eine so treuherzige wie sture Seele. Romantisch ist er auch: Sieben Minuten wird Götz das „gigantische Überstück Besame Mucho“ hinschmelzen. Bis Frauen mit feuchter Wäsche werfen, was sie angeblich manchmal tun. Stilechter wären natürlich feuchte Jane-Russell-40er-Jahre-Unterröcke.

Götz Alsmann: „Filmreif“ (Universal)