Das Titanic-Syndrom

Alle reden über die Pleite der Bankgesellschaft. Doch Berlin drohen neue Finanzlöcher in Milliardenhöhe: Flughafenausbau, BVG-Sanierung, Messeerweiterung, fette Pensionen und städtebauliche Entwicklungsgebiete

von UWE RADA

Wie tief kann man eigentlich sinken? Während die Offiziere auf der Kommandobrücke der „Berlin“ noch keinen Anlass sehen, die Rettungsboote zu wässern, haben die Matrosen bereits die Taucherbrillen aufgesetzt. Sie wissen: Der Milliardenstrudel, in den die Bankgesellschaft die „Berlin“ gerissen hat, war erst die erste Turbulenz.

Es sind größer werdende Lecks im Rumpf, frisierte Bilanzen im Logbuch und unbezahlte Rechungen, die den Kreuzer immer weiter in die Tiefe reißen. Nur Kapitän Diepgen posaunt: „Keine Panik auf der Titanic“. Auf der Brücke glaubt man noch immer, dass sich die Löcher ohne weitere Milliardenverluste sanieren lassen. Oder dass sich die Milliarden für den Ausbau der Offiziersmesse ebenso von selbst bezahlen wie die Pensionskosten. Dabei weiß selbst jeder Matrose: Die Heuer wird teuer, auch wenn so mancher über Bord geht. Fünf neue Sturmfluten, die auf die „Berlin“ zukommen, stellt die taz heute vor. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird ausdrücklich nicht erhoben. Es ist die Eigentümlichkeit von Wellen, dass sie niemals alleine kommen.

Doch selbst wenn sich der Sturm kurzfristig legen sollte, ein Hochdruckgebiet ist so wenig in Sicht wie das rettende Land. Allein 40 Milliarden Mark muss die „Berlin“ für Kredite aus der Kajütenbauförderung der Vergangenheit zurückzahlen, ein klarer Fall von Schattenhaushalt, wie die roten Matrosen finden.

Auch die erfolglosen Kreuzfahrten von einst schlagen nun doppelt zu Buche. Aber wegen solcher Peanuts bekommen Kapitän Diepgen, Navigator Strieder und Steuermann Kurth in ihren Luxuskajüten schon lange keine schlaflose Nacht mehr.

Während jeder Billigkutter, der unter falscher Flagge dampft, die Wasserpolizei befürchten muss, wird auf der „Berlin“ umgeflaggt, ohne mit der Wimper zu zucken. Nur der grüne Matrose Müller-Schoenau bemängelt die „unrealistischen Haushaltsansätze“. Allein die zu gering veranschlagten Personalkosten und Ausgaben für Sozialhilfe beliefen sich, so Müller-Schoenau, auf 1,5 Milliarden Mark – zusätzlich zu den 9,6 Milliarden, die die „Berlin“ zusätzlich bei griechischen Redern aufnehmen muss. So etwas müsste der Kommandobrücke auf der „Berlin“ eigentlich einen SOS-Spruch wert sein. Auch der Tanker Bankgesellschaft ist schließlich wegen frisierter Verlustschätzungen untergegangen.

Vielleicht aber hat Kapitän Diepgen, ähnlich wie John Smith, der Kapitän der Titanic, nur ein neues Ziel vor Augen, zum Beispiel Olympia 2012. So ist das manchmal vor dem Untergang. Man dilettiert und deliriert. Dabei wissen es die Zuschauer schon längst: Die Berlin sinkt wie die Titanic, nur weniger elegant. Und ohne ein Requiem von Céline Dion.

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