FRAUEN SIND ANDERS KRANK – WAS DIE MEDIZIN ABER KAUM WAHRNIMMT
: Eine der letzten Männerbastionen

Aus dem wahren Leben: Eine Frau wird in die Notaufnahme eingeliefert. Ihre Haut ist übersät mit roten Flecken, der Zustand kritisch. Ihr Bauch wird aufgeschnitten, doch der Entzündungsherd ist nicht zu lokalisieren. Also entschließt sich der Chirurg, die Gebärmutter zu entfernen. Mit Mühe kann ihn eine Gynäkologin davon abhalten.

Wie alle Wissenschaft ist auch die Medizin eine Männerdomäne. Nur sind die Konsequenzen größer als anderswo. Denn im Fokus stand stets der kranke Mann. Fand man bei der Frau unbekannte Erkrankungen, so wurden diese schlicht auf die offensichtlichen Unterschiede zurückgeführt: Gebärmutter und Eierstöcke. Also wurden beide bis in die 60er-Jahre mit großem Eifer entfernt.

Und wenn sich die Medizinmänner den Frauen gezielt widmeten, war das Ergebnis kaum besser: Die Verdrängung der Hebamme trieb anfangs nicht nur die Sterblichkeit in die Höhe, weil Ärzte unwissentlich Schwangere und Babys mit Keimen von Todkranken infizierten. Sie führte auch zu einer Pathologisierung der Geburt: Sie ist nicht mehr normaler Abschnitt des Lebens, sondern beinahe eine Krankheit. 98 Prozent aller deutschen Geburten finden in der Klinik statt. Und noch immer nimmt der Druck auf Frauen zu, während der Schwangerschaft stets neue Untersuchungen über sich ergehen zu lassen.

Wenig Aufmerksamkeit haben dagegen Ansätze, von den Lebensumständen der Frauen auszugehen. Der Bericht zur Frauengesundheit, den Familienministerin Christine Bergmann gestern vorstellte, ist deswegen ein nicht hoch genug zu bewertender Anfang für eine Umorientierung.

Leider halten sich die alten Traditionen länger als nötig. So gibt es in kaum einem Krankenhaus eine ernsthafte Qualitätskontrolle – schon aus Angst, Pfusch im eigenen Haus aufzudecken. Dies geht zu Lasten auch der Frauen. Die eingangs erwähnte Patientin hatte übrigens Glück: Chirurg und Gynäkologin stritten sich so lange, bis das Ergebnis der Blutuntersuchung da war: Scharlach. Mit Antibiotika konnte ihr Leben gerettet werden – und die Gebärmutter. MATTHIAS URBACH