piwik no script img

Der Unberechenbare hat ausgedient

Indonesiens Präsident Abdurrahman Wahid hat die in ihn gesetzten Hoffnungen enttäuscht, seine Verbündeten verprellt und sich selbst einen würdigen Abgang verbaut. Jetzt bleibt ihm nur noch die Drohung mit einem Aufstand

PEKING taz ■ Am liebsten umgibt sich Präsident Abdurrahman Wahid mit den „Kyai“, den frommen Männern aus der muslimischen „Gemeinschaft der Religionsgelehrten“ (NU), deren Führer er 15 Jahre lang war. Im schweren Nelkenduft der Kretek-Zigaretten plaudert er mit ihnen über die Probleme des Landes und mystische Erscheinungen. Vor einiger Zeit hatte ein Kyai eine Eingebung: „Du wirst bis 2004 im Palast regieren.“ Wahid glaubte daran. Doch jetzt kann ihn wohl nur noch ein Wunder vor der Absetzung durch das Parlament retten.

Wahid steht vor einem Scherbenhaufen. In den nach Unabhängigkeit strebenden Provinzen Aceh und Irian Jaya wächst die Gewalt. Das Morden zwischen Christen und Muslimen auf den Molukken geht weiter. Wahid tat nichts für Slumbewohner und Kleinbauern. Politische Freunde liefen davon, weil er sie gegeneinander ausspielte.

Verflogen ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die viele Indonesier hegten, als der fast blinde und von Schlaganfällen geschwächte Politiker im Oktober 1999 an die Macht kam. Er war populär, weil er während der Suharto-Diktatur und des kurzen Zwischenspiels von B.J. Habibie zu den bissigsten Kritikern der habgierigen Eliten Jakartas gehörte. Mit seinen schlichten Hemden, abgetragenen Schlappen und respektlosen Witzen war er eine erfrischende Alternative zum höfischen Suharto-System. Er wurde respektiert, wenn er ohne Berührungsängste mit allen politischen Gruppen redete, Demokratie predigte, religiöse Toleranz praktizierte und kenntnisreich über Fußball plauderte. Was Islamisten nicht gefiel, beruhigte die christliche und chinesische Minderheit: Wahid lehnte einen islamischen Staat stets ab. Sein Versprechen, mit Korruption und Vetternwirtschaft aufzuräumen, glaubte man ihm gern.

Heute ist Wahids Glaubwürdigkeit zerrüttet. Zwar erklärte die Generalstaatsanwaltschaft am Montag, er sei nicht in die zwei Skandale um die veruntreuten zwölf Millionen Mark verwickelt, die die jetzige politische Krise auslösten. Aber diese Nachricht interessiert heute kaum noch jemanden. Im Vergleich zur Korruption des Suharto-Clans und mancher noch heute amtierender Politiker sind das auch nur Peanuts. Doch die Affären lieferten den erbosten Abgeordneten einen Vorwand. Denn Wahid, dessen Partei nur zehn Prozent der Sitze hat, kam nur an die Macht, weil er viel versprach, was er später nicht hielt.

Auch Wahid ist von Höflingen umgeben. Da er selbst nicht lesen kann, müssen ihm seine Töchter und Berater alle Papiere vortragen. Es kann nur spekuliert werden, ob seine Denkfähigkeit durch die zwei Schlaganfälle geschädigt wurde. Wer sein Gehör findet, ist privilegiert. Alte Bekannte nutzen dies, schanzen sich Aufträge zu und verkaufen Gefälligkeiten.

Bürgerrechtler sind enttäuscht, dass kaum einer der korrupten Suharto-Günstlinge ins Gefängnis kam. Zwar amnestierte Wahid politische Gefangene. Doch wichtige Reformen stocken, Richter und Beamte sind korrupt wie eh und je. Als Wirtschaftsminister Laksamana Sukardi aufbegehrte, warf ihn Wahid aus dem Kabinett und beschuldigte ihn der Korruption. Er bewies seine Vorwürfe nie.

Unbestritten ist, dass Wahid vor einer fast unlösbaren Aufgabe stand. Plötzlich war er verantwortlich für 210 Millionen Menschen eines Landes in einer tiefen Wirtschaftskrise. Er erbte eine verunsicherte Nation ohne demokratische Erfahrung mit einer korrupten Bürokratie und machthungrigem Militär. Doch der nach außen hin charmante Wahid ist oft stur und unberechenbar. Er begriff nicht, dass ein Staat nicht mit den gewohnten Finten zu regieren ist. Zur Zeit der Diktatur verstand er es, Kontrahenten gegeneinander auszuspielen und sich so Freiraum zu schaffen. „Das Problem ist“, sagt Professor Franz Magnis-Suseno, der früher mit Wahid in Oppositionszirkeln saß, „dass er sich nicht geändert hat.“

Freiwillig will Wahid, der Kritik als „Machenschaften der alten Suharto-Clique“ zurückweist, nicht abtreten. Gekränkter Stolz und das Gefühl einer Verschwörung lassen ihn zu diktatorischen Methoden greifen: So wollte er das Parlament auflösen und den Ausnahmezustand erklären. Jetzt bleiben ihm nur noch seine Anhänger in den NU-Hochburgen. Immer wieder drohte er mit einem „Aufstand“, sollte ihn das Parlament stürzen. Doch die Opposition und das Militär schlossen sich nur fester um Vizepräsidentin Megawati zusammen. Einen würdigen Abgang hat sich Wahid selbst verbaut. JUTTA LIETSCH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen