Leichen im Keller

■ Ziegelrot, seltsam und erhaben liegt es am Straßenbahnrand: das Bremer Volkshaus von 1928 /Neues Buch zur Sozialgeschichte des ersten Jahrzehnts erschienen

Kino, Kegelbahn, Bibliothek, Konferenzsäle, Restaurant und ein Hotel. Ein frühes Fun-Center mit Bildungsanspruch, bereits 1928 eröffnet als Gewerkschafthaus. Der Spaß währte nur fünf Jahre, dann kamen die Nazis und schmissen das Volk aus dem Volkshaus an der Hans-Böckler-Straße. Nach dem Krieg wollten die Gewerkschaften aus ungeklärten Gründen nicht mehr zurück. Heute hat das Amt für Soziale Dienste dort eine Dependance.

Das Bremer Volkshaus und seine Geschichte sind jetzt mit einem detailreichen Buch geehrt worden. Thorsten Wübbena hat seine Ma-gisterarbeit in Kulturwissenschaft über das Volkshaus und die Skulpturen von Bernhard Hoetgers geschrieben. Als Neubremer wunderte er sich während seiner Studienzeit über das große rot verklinkerte Gebäude mit den auffälligen Skulpturen an der Stirnseite.

Jeder Trip nach Walle mit den Straßenbahnlinien 2 und 3 führt an dem viergeschossigen Gebäude vorbei. Über den Fenstern im zweiten Stock prangen die Lettern „Volkshaus“. Im Erdgeschoss ist das „Casino“ untergebracht, eine bekannte Bremer Kantine mit rustikaler Küche und charmantem 50er Jahre-Interieur. „Die Kantine gab es damals schon“, erzählte Ulrike Rodenbuesch bei der gestrigen Buchvorstellung. Fünf Jahre hat sie in dem Haus gearbeitet und es mit ein paar Kollegen und „detektivischer Neugier“ erforscht. „Wir haben einfach alle Räume gesucht, die auf den Fotos waren.“

Bei diesen Erkundungen im eigenen Haus stieß der Such-Trupp auch auf die Aufbewahrungshalle des Gemeinnützigen Bestattungsinstitutes (GeBeIn), das Anfang der 60er Jahre endgültig auszog, weil die Räume zu klein wurden. Seit dieser Zeit hatte sich wohl niemand mehr in den Keller hinuntergewagt. Als Rodenbuesch den Keller aufschloss, war alles voller „Matratzen, Matratzen, Matratzen: Wir kamen da gar nicht durch“. Die toten Ratten machten die Aufräumarbeiten auch nicht appetitlicher.

Zu Tage kamen unter den Matratzenbergen ein hoher Raum mit einem Mittelgang und an jeder Seite fünf kleine Aufbewahrungskammern für die Särge – mit Holzschiebetüren vom Gang getrennt. Rätselhaft bleiben die jeweils drei kleinen Fenster zwischen den Kammern. Kurz unter der Decke sind sie eingelassen und mit Keramik eingefasst. Wer sie gestaltet hat, konnte Buchautor Wübbena nicht klären. Er hält es für unwahrscheinlich, dass der Künstler Hoetger, der sich in der Böttcherstraße und an den Skulpturen des Volkshauses austoben und inszenieren durfte, klitzekleine Fensterchen in einer Sargkammer baut.

Mysteriös ist nach wie vor die ehemalige Funktion eines halbrunden Anbaus im Innenhof mit Glasdach. Der helle Raum ist wie geschaffen für einen Wintergarten. Das fand auch Rodenbuesch, die bereits vor ein paar Jahren ein Konzept zur erweiterten Nutzung des Volkshauses geschrieben hat. Ein Café hätte dort Platz gefunden, der Innenhof hätte begrünt werden könne, wenn sich ein Investor gefunden hätte. Den gab und gibt es nicht und so wird sich die Geschichte des Volkshauses fortsetzen, fürchtet Rodenbuesch. Niemand fühle sich richtig für eine Restaurierung der alten Räumlichkeiten wie dem Filmsaal zuständig, auch der Denkmalschutz nicht. Entsprechend sieht es auch im Inneren des Hauses aus: hier ein winziges Stückchen Wand im Treppenhaus, wo der rote Klinker nicht weiß überstrichen wurde, dort eine zugemauerte Tür. ei

Thorsten Wübbena: Das Volkshaus und die Skulpturen Bernhard Hoetgers. Eine Bremer Architekturgeschichte. Aschenbeck und Holstein Verlag.