jetzt! ihre persönliche werbung! von KATHRIN PASSIG:
Ich bin mit dem Internet noch nicht ganz zufrieden. Ich finde, man orientiert sich dort zu sehr an zweifelhaften Zielgruppen und zu wenig an mir. Aus diesem Grund bin ich bei sämtlichen Online-Marktforschungsanstalten angemeldet und gebe dort auf Wunsch mehrmals täglich meine persönlichsten Daten zu Protokoll. Meine Noten im Rechnen und Singen? Bevorzugte Schuppenshampoomarke? Höhe der zuletzt hinterzogenen Steuern? Vor jedem dahergelaufenen Datensammler entblöße ich mich bis auf die Gräten, aber es hilft nichts. Seit Jahren bekomme ich um die zwanzig Werbemails täglich, und bis heute war nicht eine einzige darunter, die auch nur im Entferntesten ein mich interessierendes Produkt behandelt hätte.
Das ist umso ungerechter, als ich Werbung für eine prima Idee und großartige Errungenschaft des Kapitalismus halte. Im Kino verfolge ich die Werbespots mit offenem Mund, ich besitze ganze Videokassetten voller Werbepausen ohne Film dazwischen, und Einladungen zu Kaffeefahrten bewahre ich in einem speziellen Schrein auf. Ein dankbareres Werbepublikum als mich kann es fast gar nicht geben. Warum also quält man mich so? Warum muss ich mich täglich daran erinnern lassen, dass ich kein Auto habe, keinen Grundbesitz in Kalifornien, auf den ich Hypotheken aufnehmen, keinen Penis, den ich verlängern lassen könnte?
Vielleicht steckt dahinter ja eine erzieherische Absicht. Als ich an dem Pilotprojekt zum werbefinanzierten Telefonieren teilgenommen habe, hat man schließlich auch meine Leidenschaften bis ins Kleinste erfragt, um mich dann monatelang mit Werbung für Baufachmessen und Fitnessstudios zu traktieren. „Treib mehr Sport“, wollte man mir damit vermutlich sagen, „sei flexibel, gib dein Geld für was anderes aus, leiste dir eine Betoninstandsetzung.“
Der fortgeschrittene Terror beginnt dann, wenn man vom Telefon aus dem Tiefschlaf gerissen wird, und es ist jemand dran, der Investmentfonds verkaufen will. Ist das der Dank für die Offenlegung meines Privatlebens? Sollen alle, deren Einkommen den teuer eingekauften Werbedaten zufolge „1000 DM oder weniger“ beträgt, mit solchen Anrufen am frühen Morgen dazu angestachelt werden, aus dem Bett zu springen und endlich mehr Geld zu verdienen? Dieses ungefragte Anrufen ehrbarer Bürger zu Werbezwecken heißt „Outbound“, wird von Callcenter-Schergen ausgeübt und weckt im Opfer ein Verlangen nach staatlicher Regulation in Form empfindlicher Leibstrafen. Welches Wort passt ausgezeichnet in die Reihe: Pest – Infamie – Niedertracht – Outbound? Aufmerksam mitlesende Datensammler: Nehmt hiermit zur Kenntnis, dass ich niemals, solange ich lebe, Geschäfte mit einer Firma machen werde, die mich vor zwölf Uhr anruft. Alle anderen dürfen mich gern über ihre Produkte informieren: Meine E-Mail-Adresse lautet kathrin@kulturindustrie.com, und ich interessiere mich ausschließlich für Versicherungen, Pauschalreisen, Börsentipps, Bausparen und neuartige Fettabsaugetechniken. Bitte versuchen Sie meinen Horizont zu erweitern. Vielen Dank.
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