Guck mal, wer da spricht

Hallo Gen: Von wegen Dialog! Alle reden sie aneinander vorbei, auch wenn es der Bundespräsident Johannes Rau gut meint. Vielleicht liegt es an der Fragwürdigkeit der Fragen, dass auch die Kontroverse um das „therapeutische Klonen“ oder den Lebensschutz für Embryonen merkwürdig blass bleibt

Auch dabei: die lange von der Öffentlichkeit vernachlässigten Naturwissenschaftler, die bisher als verschrobene Cordhosen-Träger galten. Sie verstehen sich als neue Volksaufklärer

von WERNER BARTENS

Rilke hatte Recht: Der Sommer war sehr groß. Das Erbgut wurde im Juni 2000 entschlüsselt. Na ja, fast. Ein paar Nachträge kamen im Frühjahr 2001 hinzu. Wer bis heute keine Tagung über Gentechnik abgehalten hat, organisiert keine mehr. Und lässt es lange bleiben.

Vielleicht ist das auch besser so. Denn es sind verbale Schaukämpfe, die zum Thema Gentechnik in Akademien, Literaturhäusern und im Blätterwald inszeniert werden. Die Sprache kommt an ihre Grenzen. Teilnehmer an den Debatten sind die üblichen Verdächtigen: Mediziner, diesmal seltsam apathisch, obwohl es bei den meisten Fragen der Gentechnik doch um vermeintliche Therapieaussichten geht.

Auch dabei: die lange von der Öffentlichkeit vernachlässigten Naturwissenschaftler, die bisher als verschrobene Cordhosen-Träger galten. Sie verstehen sich als neue Volksaufklärer, die jetzt den Biologieunterricht nachholen. Kürzlich vermittelte Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhardt den Laien in der Zeitung, was es mit Genen und Chromosomen eigentlich so auf sich hat.

Fachwissen kann nicht schaden – doch im Wesentlichen geht es bei den immer neuen Grenzüberschreitungen der Wissenschaft um andere Fragen: Welche Medizin wollen wir, was ist der Mensch, wann beginnt das Leben? Wer möchte sich hier als Experte bezeichnen? Immer häufiger tauchen deshalb in der Gästeliste auf: Philosophen und Geisteswissenschaftler. Sie haben trotz ihrer Kompetenz in Sachen Humanismus und Ethik nicht immer Zugang zum richtigen Werkzeugkasten. Nicht nur Peter Sloterdijk („Darf ich Craig sagen?“) zielt mit seinen Fragen manchmal haarscharf daneben.

Jetzt haben sich sogar die obersten Respräsentanten des Staates zu Wort gemeldet. Der Kanzler machte mit seinem berüchtigten Hinweis auf eine Diskussion „ohne ideologische Scheuklappen“ den Anfang, sein Kulturminister streute für den Alltag Gebrauchsethik ein. Dann kam der Präsident. Johannes Rau brachte das Unbehagen vieler Menschen über die Fortschritte der Gentechnik auf den Punkt, forderte klare Grenzen und suchte Orientierung zu geben.

Vielleicht liegt es an der Fragwürdigkeit der Fragen, dass bei diesem Aufweichen der Ethik auch die Kontroverse um das „therapeutische Klonen“ oder den Lebensschutz für Embryonen merkwürdig blass bleibt. Zwar ist die Logik der Argumente schlüssig – egal, ob sie für oder wider die neue Methodik vorgetragen werden. Aber dennoch greift sie nicht. Unbehagen und Intuition sind stärker als rationale Erwägungen, wenn der Wesenskern des Menschlichen zur Disposition steht. Wer etwas nicht will, will eben nicht. Man muss nicht glauben, dass durch Forschung an Embryonen „Menschen nach Maß“ geschaffen werden, um dagegen zu sein.

Womöglich fehlt schlicht das Instrumentarium, um gentechnische Utopien zu erörtern. Schließlich greifen sie gleichzeitig uralte Menschheitsfragen auf und an, betreffen unseren Körper, unser Leben und bleiben dennoch abstrakt und anwendungsfern. Der Mensch vermag sich über den Menschen einfach keine distanzierte Meinung zu bilden.

Das Publikum hat dies längst durchschaut. Es bleibt Kongressen und Tagungen zur Gentechnik weit gehend fern und meidet den inszenierten Schlagabtausch. Zu einer hochkarätig besetzten Veranstaltung im Literaturhaus München kamen nur etwa 40 Zuhörer, die meisten davon Journalisten. Die Referenten zeigten sich auch eher desinteressiert. Man kannte die Argumente des anderen, tauschte sie lustlos aus. Deshalb warteten die meisten Redner gar nicht ab, bis der andere seinen Vortrag gehalten hatte.

Der Philosoph Boris Groys wollte noch ins Museum. Der Neurowissenschaftler Ernst Pöppel verriet ebenso wenig wie der Lyriker Durs Grünbein, warum er sofort nach seinem Statement wieder verschwand. Jens Reich erklärte, dass er seit Jahren schon den skeptischen Wanderprediger in Sachen Gentechnik spiele, kam aber wenigstens mit zum Essen.

Auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing wurden die unterschiedlichen Erwartungen von Experten und so genannten Laien noch deutlicher: Im Publikum in Tutzing saß ein Künstler, ein blasser, bescheidener Mensch. Er beschwor das körperliche, geistige und seelische Einssein, das er erfährt, wenn er vor einem Baum steht. In leisen, ruhigen Worten schilderte er seine Empfindungen. Diese Schlichtheit irritierte die großen Entschlüsseler des Lebens. „Meinen Sie, wir können nicht sinnlich empfinden?“, herrschte ihn Deutschlands führender Genkartierer, André Rosenthal, an. Immer würden Wissenschaftler als kalte Rohlinge dargestellt. Jochen Wagner, der Tagungsleiter, versuchte zu vermitteln. Es ginge um die Erfahrung von Sinnlichkeit, um die Lebenswelten im Alltag, und die unterscheiden sich meistens von den durch Hilfsmittel wie Mikroskop oder Elektrophorese vermittelten Eindrücken im Labor.

Dann erzählte der Tagungsleiter von einem Stein, den er nach dem Joggen in dunkler Nacht mit nach Hause getragen habe. 35 Kilo schwer, eine ziemliche Plackerei – aber so sicher habe er sich selten gefühlt. Das sei etwas anderes, als Camus zu lesen.

André Rosenthal saß in der ersten Reihe und schmollte. „Ich bin schon gekränkt, dass Sie mich nicht anschauen, wenn ich mit Ihnen spreche, aber ständig den Kopf schütteln“, sagte der Tagungsleiter. Herr Rosenthal schaute weg und bekräftigte, dass er an der Diskussion teilnehme. Man fühlte sich an Loriots gebrülltes „Ich brülle nicht“ erinnert.

Diese absurde Konfrontation verdeutlicht, wie oft Wissenschaftler und besorgte Laien aneinander vorbeireden. Es gelingt ihnen zu selten, sich auf die Weltbilder des jeweils anderen einzulassen. Die Weltbilder der irritierten Öffentlichkeit sind sowieso längst von etwas anderem geprägt. Wenn in der Sportsendung „ran“ der Reporter den Fußballern von Arminia Bielefeld ein fehlendes „Killer-Gen“ attestiert, weil sie so selten das Tor getroffen haben, wenn die Bunte auf der ersten Seite titelt: „Forscher enträtseln das Schicksals-Gen“ und Steffi Graf und Stéphanie von Monaco als Beispiele aufführt, sagt das mehr über die öffentliche Wahrnehmung der Gentechnik als jede Feuilleton-Debatte über die Menschenwürde von Embryonen.

Joe Cocker sprach im Spiegel-Interview von einem „Selbstzerstörungs-Gen“, das ihn immer wieder zu aggressiven Attacken verleite. Bill Clinton wurde ein „Untreue-Gen“ nachgesagt. Und in einer Meinungsumfrage Ende der 90er-Jahre erklärten sechzehn Prozent, einen Embryo mit einem Gen für rote Haare abtreiben lassen zu wollen. Beim Embryo mit Fettsucht-Gen waren es 25 Prozent, beim „Schwulen-Gen“ vierzehn Prozent. Es gibt alle diese Gene nicht – aber die Beispiele ließen sich fortsetzen.

Sie zeigen deutlich, welche Erfahrungswelten von Bedeutung sind, wenn es um das Thema Gentechnik geht. Das hat Bundespräsident Rau mit seiner zweiten „Berliner Rede“ zum Ausdruck gebracht. Allein, der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat schon vor fast 200 Jahren auf die Folgen allzu gut gemeinter Einigkeit hingewiesen: „Die allgemeinen Worte von dem Wahren und Guten, der Weisheit und der Tugend, sind wohl im Allgemeinen erhebend, aber weil sie in der Tat zu keiner Ausbreitung des Inhalts kommen können, fangen sie bald an, Langeweile zu machen.“

Werner Bartens ist Arzt und Autor des Buchs „Die Tyrannei der Gene. Wie die Gentechnik unser Denken verändert“. Er ist Redakteur der Badischen Zeitung