Kanzlerkandidatenkandidat kandidiert

Analyse beweist: Der „Sommerstoiber“ ist demnächst mehr als nur ein spießiger Trachtenanzug

Im deutschen Privatfernsehen gab es mal ganz kurz ein aus den Niederlanden importiertes Sendekonzept mit dem Titel „Tut er’s – oder tut er’s nicht?“. Zufällig auf der Straße aufgegabelten Passanten wurde hier ein kleiner Geldbetrag geboten, wenn sie sich auf die eine oder andere bescheuerte Aufgabe einließen: für fünfzig Mark den Kopf in einen Brunnen stecken, für einen Hunderter wildfremde Personen hartnäckig als vermisste Onkel und Tanten identifizieren und so weiter. Legen Sie mich da nicht fest, ich kann mir auch nicht jeden Schwachsinn merken. Jedenfalls wurden diese Aktionen gefilmt. Die Kandidaten im Studio bekamen diese Filme vorgeführt – aber nur bis zu dem Punkt, an dem sich der Passant entscheiden musste, ob er tatsächlich macht, was die dahergelaufenen Fernsehmenschen von ihm verlangten. Eine im Zweifel blonde und dem De-Mol-Clan entstammende Moderatorin forderte die Kandidaten nun auf, sich zu entscheiden: Tut er’s? Oder tut er’s nicht? Immer wenn ich zur Zeit den bayerischen Ministerpräsidenten Doktor Edmund Stoiber auf meinem Bildschirm herumschleichen sehe, erwarte ich, dass das Bild in der nächsten Sekunde einfriert. Dass eine Moderatorin mich auffordert, mich zu entscheiden: Tut er’s? Tut er’s nicht? Die Antwort ist ganz einfach.

Edmund Stoiber wird Kanzlerkandidat. Das ist sein Ziel, sein Traum, seine Mission. Der Mann trägt bereits den gesamten bayerischen Staat auf seinen schmalen Schultern, aber da ist noch Platz, so viel mehr Platz für große Aufgaben. Der deutsche Bundeskanzler Doktor Edmund Stoiber der Bundesrepublik Deutschland im Europa der Regionen und der Währungsstabilität, Prädikatsjurist, Träger des Bayerischen Verdienstordens und desjenigen wider den tierischen Ernst, Ehrenleutnant der Gebirgsschützen-Kompanie in Wolfratshausen, „Bambi“-Preisträger, ins Gespräch vertieft mit seinem Gesinnungsfreund Silvio Berlusconi, auf Nahostreise, die großen Zusammenhänge im Blick, dabei nie die Interessen der Jugend, der Wirtschaft, des Sportes und des Standortes Deutschland (nicht zuletzt jene des Freistaates Bayern) aus den Augen verlierend: So sieht er sich, und diese Rolle probt er schon seit Jahren. Es gibt nichts, was ihn davon abhalten könnte, endlich auf die große Bühne zu streben. Haben Sie es bemerkt? Auch seine Frau Karin wird zusehends hanneloresker.

Edmund Stoiber wird nicht Kanzlerkandidat. Warum sollte sich der Mann diesen Stress auch antun? In Bayern geht es ihm gut. Hier hat er die Macht in seinen Händen, und niemand wird sie ihm streitig machen bis in alle Ewigkeit, bis er dereinst auffährt in den weißblauen Himmel und sitzt zur Rechten Straußens, seines allmächtigen Vaters. Seine Chancen, gegen Schröder zu gewinnen, sind zwar wesentlich besser als die der glücklosen Angela Merkel, aber das heißt gar nichts. Schlecht sind sie trotzdem. Gegen den Lebemann Schröder mit Brioni und Cohiba hat Stoiber nur wenig Publikumswirksames zu bieten: Sachkompetenz, Mineralwasser und Beuteltee. Immerhin noch eine nach ihm benannte Anzuggattung: den sog. Sommerstoiber, einen leichten Anzug im spießigen Trachtenstil. Als ihm der Narrenorden verliehen wurde, reagierte er denn auch ehrlich überrascht: Als Humorist habe er noch nicht gerade weithin von sich reden gemacht. Er würde verlieren. Warum also sollte Stoiber sein Stammland verlassen? Als Mahner und Warner fernab der Verantwortung lässt es sich viel angenehmer und geschützter politisieren denn als Regierender. Nicht zuletzt das traurige Schicksal der ehemals „grünen“ Partei beweist das.

Edmund Stoiber ist Kanzlerkandidatenkandidat. Mehr will er gar nicht sein. Mehr muss er gar nicht sein. Edmund Stoiber ist die wandelnde Alternative zu jedem denkbaren Kanzler gleich welcher Partei oder welchen Geschlechts. Er ist hervorragend für alle möglichen Ämter geeignet. Und ist nicht die Möglichkeit etwas zu tun, wenn man nur wollte, wesentlich reizvoller als die Tat selbst? Ich will, also tue ich – das ist langweilig. Ich könnte, wenn ich wollte, aber ob ich will, sage ich erst, wenn ich will – das ist der wahre Triumph des Willens. Das ist Macht. Dafür setzt sich Stoiber auch mal einen Fahrradhelm auf, um gefährliche Volksnähe zu demonstrieren. Denn die in Berlin sollen wissen: Hier ist einer in Bayern, der kann euch gefährlich werden. Jederzeit.

Stoiber wird Kanzler. Kein Grund zur Panik. Das wäre nicht so schlimm. Denn erstens wird der Mann, wie zahlreiche Kommentatoren durch langjährige Beobachtung herausgefunden haben, mit jedem höheren Amt noch ein wenig zahmer. Und zweitens würde seine Kanzlerschaft den Blick auf eine in den letzten Jahren gerne verdrängte Tatsache frei machen: Wir werden von „Arschlöchern“ regiert (Wehner).