Für die USA war die Steiner-Äußerung keine Überraschung

Erst die Öffnung der Stasi-Archive brachte Erkenntnisse darüber, dass Libyen hinter dem Bombenanschlag auf die Berliner Disco „La Belle“ von 1986 stecken könnte

BERLIN taz ■ Der Bombenanschlag in der Berliner Discothek „La Belle“, die überwiegend von schwarzen US-Soldaten besucht wurde, war einer der schwersten, die jemals gegen amerikanische Staatsangehörige in Deutschland verübt wurde. Nur steckten dieses Mal keine deutschen Guerilleros hinter dem Anschlag, der am 5. April 1986 drei Menschen das Leben kostete und mehr als 200 Menschen zum Teil schwer verletzte.

Unmittelbar nach der Explosion machte die Regierung in Washington Libyen für das Attentat verantwortlich. Zehn Tage später befahl US-Präsident Ronald Reagan einen massiven Vergeltungsschlag gegen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi. In den frühen Morgenstunden des 15. April 1986 stiegen in Großbritannien und auf Flugzeugträger im Mittelmeer 33 Kampfjets auf – neben der Hauptstadt Tripolis wurde auch die Hafenstadt Bengasi bombardiert. Der Angriff dauerte 15 Minuten, dann lagen Flughäfen, Kasernen, aber auch zivile Gebäude in Schutt und Asche. Eine Adoptivtochter Gadaffis kam ums Leben.

Dass Libyen für den Anschlag verantwortlich zeichnete, war lange Jahre höchst umstritten. Der einzige Hinweis, den Reagans Mitarbeiter der Öffentlichkeit unmittelbar nach dem Attentat präsentierten, waren vom US-Geheimdienst NSA aufgefangene Funksprüche, in denen dem libyschen Volksbüro in Ostberlin zur erfolgreichen Durchführung des Attentates gratuliert worden sein soll – in „naiver Verschlüsselung“, wie die Geheimdienstexperten behaupteten. Die Beweise für die libysche Urheberschaft, erklärte Reagan in einer Fernsehansprache, seien „präzise“ und „unwiderlegbar“. Überzeugende Belege dafür blieb der Präsident aber schuldig.

Das sahen auch die Ermittler in Berlin so. Über Jahre favorisierten sie die These, Syrien könne als Auftraggeber in Frage kommen, schlüssige Indizien dafür fanden sie aber nicht. Erst die Öffnung der Stasi-Archive nach dem Fall der Mauer brachte Ermittlungsansätze. Diese führten schließlich 1997 zum Prozess, der seither vor der 39. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichtes verhandelt wird. Den Aufzeichnungen des DDR-Geheimdienstes zufolge ist das Attentat von Mitarbeitern des libyschen Volksbüros geplant und koordiniert worden – es wurde unter den Augen der DDR-Staatssicherheit durchgeführt. Bis kurz vor der Tat war die SED-Parteispitze über geplante Attentate im damaligen Westberlin informiert – verhindert hat sie die DDR nicht.

Weitgehend ungeklärt ist bis heute die Rolle, die westliche Geheimdienste im Umfeld des Attentats spielten. Bereits im Juli 1990 fand sich in Stasi-Dokumenten Hinweise, wonach der US-Nachrichtendienst CIA durch einen Doppelagenten über die Anschlagsvorbereitungen informiert gewesen sein könnte – durch den inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter „Alba“, einen Palästinenser mit deutschem Pass, der heute mit auf der Anklagebank sitzt. Die Staatssicherheit hatte schon vor dem Anschlag, am 5. April, den Verdacht, dass ihr „Alba“ auch auf einer anderen als der eigenen Gehaltsliste stehen könnte. Als die Mitarbeiter des Volksbüros Ende März 1986 einen ersten Anlauf für einen Anschlag auf eine Diskothek machten, stießen sie zu ihrer Überraschung auf eine auffällig hohe Polizeipräsenz in der Umgebung der Lokals. Das Vorhaben wurde deshalb verschoben. Die Stasi vermutete den Akten zufolge, die Informationen könnten von Alba „abgeflossen“ sein.

Auch die Berliner Staatsanwälte gehen davon aus, dass die Vorbereitungen für einen Anschlag in Westberlin nicht nur der Stasi bekannt waren. Den Nachrichtendiensten der USA sollen, so heißt es in der Anklageschrift, bereits am 25. März „zuverlässige Informationen“ über eine Anweisung der libyschen Regierung an das Ostberliner Volksbüro vorgelegen haben, terroristische Anschläge gegen US-Bürger zu begehen. Zwei Tage später, am 27. März, sei deshalb der DDR-Botschafter in Washington, Münch, in das Außenministerium einbestellt worden. Am selben Tag erschien auch der US-Botschafter in Ostberlin, Meehan, im DDR-Außenministerium. Auch er behauptete, „Hinweise auf feindselige Aktivitäten gegen die USA durch das libysche Volksbüro“ in Ostberlin zu haben.

So gesehen kann es für die US-Seite bei Gerhard Schröders Besuch im März dieses Jahres keine große Überraschung gewesen sein, was Kanzlerberater Steiner in trauter Runde über ein Treffen mit Gaddafi vortrug: dass dieser eine Beteiligung Libyens an terroristischen Aktionen eingeräumt habe.

WOLFGANG GAST