Die Suche nach dem Kompass Seele

■ ... muss im Theater immer gegenwärtig sein. Sagt der neue Schauspielhaus-Chefdramaturg Michael Eberth

Er kommt in einem Moment großer Aufgeregtheiten über das Schauspielhaus-Programm unter der Intendanz Tom Strombergs: Michael Eberth, derzeit noch am Düsseldorfer Schauspielhaus und künftiger Chefdramaturg in Hamburg. Entsprechend hoch sind die Erwartungen gesteckt.

taz hamburg: Herr Eberth, werden Sie das Haus retten?

Michael Eberth: Ich habe nicht den Eindruck, dass man hier retten muss. Hier sind Potenzen versammelt, über deren kreative Energien man sich in dieser Stadt noch wundern wird. Man segelt hier allerdings hart am Wind. Das ist eine Herausforderung, die starke Konzentration erfordert.

Werden Sie denn jetzt alles anders machen?

Eberth: Ich finde Tom Strombergs Ansatz völlig in Ordnung. Ich würde allenfalls ein paar Gewichte anders setzen. Dabei dominiert nicht der Anspruch, alles anders zu machen. Ich sehe hier junge Theatermacher mit viel Energie agieren und bin überzeugt, dass es gerade an diesem Haus gelingen wird, für das Theater neue Sprachen zu entwickeln.

Anhand welcher Autoren wollen Sie das in der kommenden Spielzeit praktizieren?

Eberth: Wir werden Schiller, Goethe und Büchner zeigen – immer auf der Suche nach einer zeitgemäßen, authentischen Bühnensprache, in der neben der Dominanz des Körperlichen der seelische Aspekt nicht verloren geht.

Welches sind die derzeit wich-tigsten Themen für das Theater?

Eberth: Mich interessiert die Auseinandersetzung mit jungen Leuten, die durch die heutigen Bilderwelten geprägt sind. Die Bilderseligkeit, in der sie sich tendenziell auflösen, birgt die Gefahr, dass da-rüber ein wichtiges Element des menschlichen Daseins verloren geht: die Seele, unser verlässlichs-ter und gefährdetster Kompass.

Welches sind Ihre bevorzugten klassischen Autoren?

Eberth: Ich habe in letzter Zeit besonders von der Beschäftigung mit Kleist profitiert. Die Art, wie er im Käthchen den Unterschied zwischen Antlitz und Maske darstellt, zwischen wahrem Gefühl und Verstellung, öffnet die Augen dafür, wie es bei uns selbst damit steht.

Aus welchem Land kommen die derzeit interessantesten jungen Dramenautoren? Aus Irland?

Eberth: Ich habe lange zu denen gehört, die ihr Heil in der Beschäftigung mit den britischen und irischen Autoren gesucht haben. Das hat zu Unschärfen geführt, weil diese Autoren eine Wirklichkeit abbilden, die der unseren nur vermeintlich gleicht. Deshalb bin ich froh, dass sich die jungen deutschen Autoren allmählich aus den mentalen Verstrickungen der Vergangenheit lösen und ihre Augen der Wirklichkeit öffnen.

Welche gesellschaftliche Funktion würden Sie dem Theater heute zugestehen?

Eberth: Es kann den Zuschauer dazu animieren, sich an verlorene Lebensmöglichkeiten zu erinnern. Und es kann ihm helfen, der eigenen Wahrnehmung mehr zu trauen.

Ist Wahrnehmung derzeit wirklich das zentrale Problem?

Eberth: Ich glaube ja. Wenn ich meine Kinder dabei beobachte, wie sie mit Playmobil-Figuren spielen, staune ich, wie da alles zusammenpasst: alle Farben, alle Formen fügen sich problemlos ineinander. Die Kinder kriegen dadurch das Gefühl, dass in der Welt alles irgendwie zusammengehört und sich fügen wird. Dasselbe Prinzip beherrscht die mediale Welt: Alle Bilder fügen sich auf die billigste Weise, so dass die jungen Leute ein fatales Vertrauen in die Kraft der Bilder entwickeln. Das kann letztlich nur dazu führen, dass man sich auch beim Menschen mit dem zufrieden gibt, was der flüchtige erste Blick ergibt.

Sie haben während ihrer fünfjährigen Tätigkeit am Deutschen Theater in Berlin die Umbrüche der Berliner Theaterlandschaft miterlebt. Inwieweit haben diese Erfahrungen Ihren Blick auf das Theater geprägt?

Eberth: Sie haben mir bewusst gemacht, dass der Wandel der politischen Systeme einen Wandel der Sprachen der Künste bedingt. Das letzte Jahrhundert hat unserem Land fünf radikale Umbrüche beschert: 1919, 1933, 1945, 1968 und 1989. 1945 und 1968 konnten sich die Künste im Fahrwasser neuer politischer Bewegungen schnell definieren. Dass dem Aufbruch von 68 etwas Pseudohaftes anhaftete, ist zur Zeit gerade in den Theatern drastisch zu erleben. Die anderen Umbrüche haben in den Künsten schmerzliche Prozesse der Neuorientierung ausgelöst. Wie grundlegend der Umbruch ist, der sich seit 89 in den Berliner Theatern vollzieht, wo sich die Erzählweisen des einstigen Ostens und des einstigen Westens gegenseitig entwerten, indem sie aneinander wie in einem Zerrspiegel die eigene Verblendung erkennen, wird in den anderen Städten noch nicht mit der nötigen Konsequenz wahrgenommen. Daher bricht überall dort, wo sich in einem Theater ein Wandel in den Erzählweisen ankündigt, ein Riesengeschrei aus. Am Hamburger Schauspielhaus hat man begriffen, was die Stunde geschlagen hat. Hier gewinnen neue Formen des Erzählens an Fahrt. Solche Umgestaltungsprozesse tendieren natürlich dazu, in radikaler Einseitigkeit abzulaufen. Darum würde ich gern dazu beitragen, dass der Furor des Neuen nicht die guten Seiten des Alten von den Bühnen vertreibt.

Worin lag das größte Verständigungsproblem bei der Arbeit mit den ostdeutschen Kollegen?

Eberth: Darin, dass wir alles verschieden beurteilten. Haupt-problem auch für mich als Alt-68er war, dass sich die westliche Linke verbal immer ein Utopia erschaffen konnte. Die Ostdeutschen dagegen wussten, dass ihre Träume in der DDR immer an der real existierenden Mauer zerschellen würden. Sie waren deshalb nie in der Gefahr, sich so stark von der Realität loszulösen. Interview: Petra Schellen