Die Medien-Polit-Connection

„Damals in Bonn war die Welt noch in Ordnung“: Politiker und Journaille tauschten für einen Tag ihre Rollen. Dabei wäre zwischen Medien und Politik doch eher weniger als mehr Nähe wünschenswert

von RALPH BOLLMANN

Die Bilanz kann sich sehen lassen: Dem Finanzminister Hans Eichel brachte der eintägige Arbeitseinsatz immerhin eine halbe Seite in der Bild-Zeitung ein, und der Kabinettskollege Werner Müller konnte seinen bescheidenen Bekanntheitsgrad mit einer ganzen Seite in der Illustrierten Max aufbessern. Am besten schnitt jedoch wieder einmal Medienprofi Guido Westerwelle ab: Er war in den nächtlichen Fernsehnachrichten von Sat.1 zwanzig Minuten lang live auf Sendung – ein Ereignis, das ihm auch das Interesse der Printmedien sicherte.

Die PR zum Nulltarif verdankten die Politiker dem Berliner Verein „Werkstatt Deutschland“. Er hatte Politiker und Journalisten dazu eingeladen, für einen Tag die Rollen zu tauschen – um „das Verständnis der sich manchmal feindselig gegenüberstehenden Berufsgruppen zu erhöhen“.

Ganz so feindselig kann dieses Verhältnis nicht sein. Als die Beteiligten am Mittwoch im Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses Bilanz zogen, da genügte schon die Anwesenheit zahlreicher Fernsehkameras, um eine stattliche Reihe von Politpromis auf den Kongress zu locken. Der Bundespräsident, zwei Bundesminister, ein Ministerpräsident und zwei Parteivorsitzende versicherten den Journalisten, wie sehr man die deutschen Medien doch schätze.

Zu viel, nicht zu wenig Nähe ist das Problem des deutschen Journalismus: Das wurde aus den Beiträgen der wenigen Teilnehmer, die kein Blatt vor den Mund nahmen, schnell klar. „Man kommt sich dabei näher – aber das ist es ja gerade, was man fürchten muss“, urteilte der frühere PDS-Chef Lothar Bisky über den Rollentausch, an dem er selbst nicht teilgenommen hatte. Noch deutlicher formulierte es Zeit-Autor Gunter Hofmann: „Diese Veranstaltung ist ein Teil des Problems, das sie beleuchten will.“

Woher dieses Missverständnis rührt und wohin es führen kann, zeigt schon ein Blick auf die Namen der Veranstalter – ist doch die „Werkstatt Deutschland“ ein Produkt genau jenes Verständnisses von Konsens und gegenseitiger Freundschaft, das die Hauptstadt geradewegs in das Desaster dieser Tage geführt hat. In der Affäre um die landeseigene Bankgesellschaft taucht der Name des Vereinsvorsitzenden Klaus Riebschläger gleich mehrfach auf. In den frühen Siebzigern traten Riebschläger und Landowsky fast gleichzeitig ihre Parteibuchposten bei landeseigenen Banken an – ein Kompensationsgeschäft, wie es im verfilzten Westberlin üblich war. Im vorigen Jahr fungierte der Rechtsanwalt Riebschläger als Treuhänder – im gemeinsamen Auftrag der Landowsky-Bank und jener Bauunternehmer, deren Parteispende den Fraktionschef zu Fall brachte. Die Spender selbst werden von einem Anwalt vertreten, mit dem sich Riebschläger die Kanzlei teilte.

Mehr Distanz kann also auf allen Ebenen nur nützen. Damit erledigt sich auch jene Debatte von selbst, die im vergangenen Jahr über das neue Berliner Verhältnis von Politik und Medien geführt wurde. Am Mittwoch war es nur noch Dieter Schröder, der scheidende Herausgeber der Berliner Zeitung, der von den alten Bonner Zeiten schwärmte: „Damals war die Welt noch in Ordnung.“ In den anderen Beiträgen wurde schnell klar: Die Politiker – vor allem jene aus der zweiten Reihe – sind bloß sauer, dass nicht mehr alle Journalisten ihren Namen kennen. Und die Journalisten sind vergrätzt, weil nicht mehr jeder von ihnen am Tisch des Kanzlers sitzen kann. Aus amerikanischer Sicht ist das eine durchaus erfreuliche Entwicklung. „Dort ist jede Form von Kumpeligkeit verpönt“, berichtete Spiegel-Autor Jan Fleischhauer.

Als Teil des Rollentauschs durften die Politiker auf den Fluren des Berliner Abgeordnetenhauses zur Abwechslung einmal Journalisten interviewen. Das Ergebnis war niederschmetternd: Die Gespräche gerieten so unkritisch und langatmig, wie es die Volksvertreter im umgekehrten Fall gerne hätten. Statt Fragen zu stellen, versicherte SPD-Geschäftsführer Matthias Machnig einem Korrespondenten, wie sympathisch er ihn finde. Machnigs Vorgesetztem auf Zeit, dem N24-Chefredakteur Peter Limbourg, gefiel das überhaupt nicht: „Ich glaube, da muss ich mal ein Personalgespräch führen.“

Bei ihren Besuchen in Redaktionsstuben und Amtszimmern gewannen die Tauschpartner dagegen nur höchst banale Erkenntnisse. Auf die Frage, ob ihn bei seiner Arbeit in der Max-Redaktion irgend etwas erschreckt habe, antwortete Wirtschaftsminister Müller mit einem knappen: „Nichts.“ Und Focus-Chef Helmut Markwort zeigte sich erstaunt darüber, dass der Alltag in der Wiesbadener Staatskanzlei des Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) „keine gemütliche Veranstaltung“ sei. Koch wunderte sich seinerseits über die Zwänge des Medienbetriebs: „Mir wurde gesagt: Wenn’s der Spiegel hat, müssen wir’s auch haben.“

Offene Kritik am Ergebnis des Austauschs übte nur Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur des Berliner Tagesspiegel. Ihm hatte die mangelnde Kooperationsbereitschaft des CDU/CSU-Fraktionschefs Friedrich Merz die Zunge gelockert. „Herr Merz hatte praktisch für gar nichts Zeit“, klagte der Zeitungsmann. Solle der Austausch etwas bringen, dann brauche man Zeit – sonst drohe eine solche Aktion doch tatsächlich „zu einem PR-Gag für die Beteiligten“ zu verkommen.