„Geld? Das ist eine Mode“

Wie wollen Sven Sohr und Paul Scheub leben? Der Zukunftsforscher (34) und der Erstklässler (7) sind sich einig: Der Umwelt muss geholfen werden. Politiker tun aber zu wenig. Also muss man selbst etwas tun. Und hoffen, dass die Gehirne der Menschen doch noch mal wachsen, bevor es zu spät ist

aufgezeichnet von UTE SCHEUB

Paul Scheub: Ich würde sagen, wir beide sind die Befragten.

Sven Sohr: Gute Idee.

Hast du ’ne Frage?

Hmm. Macht ihr in der Schule was zum Thema Umwelt?

Noch nicht. Aber ich interessiere mich dafür. Sehr. Alles, was man erforschen kann, interessiert mich, besonders Tiere. Zum Beispiel hier in unserem Haus und im Garten die Ameisen. Also, was mich auch interessiert: Du bist doch Zukunftsforscher. Was hast du denn herausgefunden?

Ich habe viele Kinder befragt, was sie über die Umwelt denken, was sie für Gefühle dabei haben. Und ich musste feststellen, dass viele Menschen sich Sorgen um die Umwelt machen. Machst du dir auch Sorgen?

Ja, schon. Aber ich bleibe hart und will, dass die Menschen aufhören, sich Sorgen zu machen, und stattdessen für die Umwelt kämpfen.

Das haben auch nicht wenige von den Kindern, die ich interviewt habe, gesagt: Man muss etwas tun!

Ich versuche das auch. Na ja, eigentlich habe ich noch nichts unternommen. Gut, manchmal helfe ich Tieren, zum Beispiel den Ameisen.

Also du willst, dass sie nicht aussterben.

Jetzt hast du mich auf die Idee gebracht, noch mehr zu tun.

Manche von den Kindern, die ich befragt habe, sagten mir, sie wollten gegen den Autoverkehr demonstrieren.

Also die Autos möchte ich umweltfreundlich machen. Die sollen mit Wasser fahren, damit sie keine Abgase abgeben. Dafür habe ich schon mehrere Pläne gemacht.

Das ist ja eine tolle Idee. Ich war übrigens lange Zeit bei den Greenteams aktiv, den Kindergruppen von Greenpeace. Kinder und Erwachsene haben sich zusammengesetzt und überlegt, was man machen kann. Die Kinder haben zum Beispiel ein Stoffauto gebaut – mit Beinantrieb, wie bei deinem Fernseher. Sie haben sich darunter versteckt und haben das Stoffauto auf dem Parkplatz vor der Internationalen Automobilausstellung geparkt. Und die Erwachsenen schimpften, dass sie nun keinen Parkplatz mehr hätten. Wegen der Autofrage haben die Kinder auch den Regierenden Bürgermeister von Berlin angesprochen, aber der hatte nicht so viel Zeit für sie.

Typisch Politiker.

Du denkst wohl nicht so gut über die Politiker?

Jedenfalls kümmern sie sich wenig um die Umwelt und die Tiere. Zum Beispiel Wale. Und es gibt nur noch zwölf Trauertauben auf der Welt. Die Tasmanischen Tiger gibt es gar nicht mehr.

Was würdest du denn machen, wenn du Bundeskanzler wärst?

Das weiß ich noch nicht recht. Aber ich wollte noch was fragen: Kannst du dir erklären, warum Kinder Pokémons und Digimons so gerne mögen und davon ein Ding nach dem anderen kaufen wollen? Mir gefällt das nicht, aber um mich rum sind nur Fans von Pokémons.

Ich glaube, das hat damit zu tun, dass alle denken, sie müssten einer bestimmten Mode folgen. Man muss schon ganz schön stark sein, um zu sagen: Ich finde diese Mode blöd.

Wie meinst du „stark“?

Gute Frage. Ich meine die Stärke, das zu machen, was ich gut finde. Selbstbewusst zu sein. Vielleicht einem Gewissen, einer inneren Stimme zu folgen.

Und Mut?

Mut ist ganz wichtig. Ich habe übrigens auch herausgefunden, dass unter den umweltbewussten Kindern mehr Mädchen sind.

Ja, das glaube ich auch. Jungs interessieren sich für Fußball und Pokémons und Nike-Schuhe und sind davon abgelenkt, Mädchen sind naturbewusster. Das weiß ich genau.

Viele Jungs werden ja so erzogen, dass sie später starke Männer sein sollen.

Meinst du, dass sich das aus der Vorzeit hierher fortgesetzt hat, weil die Eltern immer wollten, dass ihre Söhne und nicht ihre Töchter die beste Erziehung kriegen?

Ja. Und warum Mädchen und Frauen umweltbewusster sind, könnte damit zusammenhängen, dass sie mehr mit Kindern zu tun haben als Männer. Sie machen sich mehr Sorgen darüber, ob ihre Kinder eine gute Zukunft haben. Etwas anderes habe ich auch noch herausgefunden: Kinder machen sich sehr viele Gedanken um die Natur, und je älter sie werden, desto weniger.

Warum denn?

Vielleicht, weil Kinder ihre Zukunft noch vor sich haben.

Und was haben die 45-Jährigen in deinen Interviews gesagt?

Die zerbrechen sich darüber nicht den Kopf. Das tun eher wieder die Alten.

Ja, das kenne ich von meiner Oma. Sehr junge und sehr alte Leute kümmern sich sehr viel.

Ich habe leider nur ein paar Ältere befragt. Aber die waren höchst aktiv. Ein 70-Jähriger war bei Greenpeace, der hatte schon seinen vierten Herzschrittmacher, und trotzdem hat er auf Schiffen Aktionen mitgemacht. Der war richtig radikal und sagte: Ich will, dass meine Kinder und Enkelkinder gut leben, und ich habe nicht mehr viel Zeit.

Wie kommt es, dass Kinder so umweltbewusst sind und nachher ist das alles weg?

Ich glaube, Erwachsene haben eine große Nähe ...

... zum Geld, meinst du? Das ist eine Mode, die Menschen von 18 bis 60 befällt.

Du hast meinen Gedanken erraten. Wenn Kinder erst mal Feuer gefangen haben, dann gibt es für sie nichts Wichtigeres als das Thema Natur. Bei Kindern zwischen 10 und 14 ist das Bewusstsein am allergrößten. Aber dann kommt die erste Liebe und die Berufswahl. Außerdem haben viele nicht so viel Selbstvertrauen, dass sie trotzdem weiter Flaschen sammeln, wenn die ganze Klasse sie verächtlich „Öko-Fuzzi“ nennt. Und schließlich, mit 18, kommt man selbst in den Konflikt: Auto fahren oder nicht? Und wenn sie dann schließlich erwachsen sind, dann haben manche von ihnen vergessen, wie sie als Kinder waren.

Meine Eltern nehmen mich manchmal auch nicht richtig ernst. Zum Beispiel meine Erfindungen.

Viele große Erfinder waren deshalb so groß, weil sie weiter wie ein Kind waren. Und deshalb lass dich bloß nicht von deinen Ideen abhalten. Ich habe die Kinder auch gefragt: Wie stellt ihr euch die Welt vor, wenn ihr mal groß seid?

Ich will das auch wissen.

Wenn ich Leute befrage, sagen die einen: Wird alles nicht so schlimm ...

Das sind bestimmt Erwachsene gewesen.

Also du siehst das nicht so ruhig und cool?

Nein.

Viele Kinder reagieren so wie du: Man muss was tun, man darf nicht alles so hinnehmen. Viele Erwachsene denken: Mit guter Technik kriegt man alles schon in den Griff. Ich selbst habe zwei unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft. Die weniger schöne ist: Wenn die Menschen immer mehr Auto fahren, Flugzeug fliegen und alles verschmutzen, werden wir die Welt nicht mehr wiedererkennen. Die schönere ist ...

... dass sich das Gehirn der Menschen noch mal vergrößert und sie erkennen, dass sie Blödsinn machen? Und dann alle Erfindungen nochmal neu und umweltfreundlich machen?

Ich hoffe, dass man dafür nicht das Gehirn extra größer machen muss, sondern dass viele Menschen sich auch so gegen diese Entwicklungen stemmen.

Und was ist das Wahrscheinlichere?

Also heutzutage halten sich die Zukunftsforscher sehr zurück mit irgendwelchen Prognosen oder gar Jahreszahlen. Wahrscheinlicher ist schon, dass es nicht gut ausgeht. Aber Menschen können immer etwas verändern. Bei Greenpeace haben die Kinder einmal mit einem Transparent demonstriert: „Wir sind die Zukunft.“ Einfach um den Erwachsenen klar zu machen, dass sie zwar viel über Zukunft reden können, aber die Zukunft ...

... selber verändern müssen.

Genau.

SVEN SOHR (34) hat für sein Buch „Ökologisches Gewissen. Die Zukunft der Erde aus der Perspektive von Kindern, Jugendlichen und anderen Experten“ (Nomos ZukunftsStudien, 2000, 236 Seiten, 39,00 DM) mit 600 Menschen im Alter von 3 bis 87 Interviews geführt