Die Faust senken und überleben

■ Wie schön: Printmedien haben Zukunft, trotz Internet und Online-Enthusiasmus. Das erklärt Journalismus-Professorin Beatrice Dernbach. Aber sie müssen sich verändern. Auch die taz

Der Blutdruck steigt, täglich werden Tonnen von Confetti gestanzt, und die Redaktion übt sich in Ansprachen: die taz bremen wird 15. Hat sie eine Zukunft? Jaaa, kreischen alle tazzen. Aber mal im Ernst: Hat sie, haben Tageszeitungen überhaupt noch Chancen auf einem Zeitungsmarkt, der durch Internet und Monopolisierung eng zu werden scheint? In unserer Geburtstagswoche, am Dienstag, 12. Juni, wird in der Galerie Rabus genau darüber diskutiert. Mit auf dem Podium: Beatrice Dernbach, Professorin am Internationalen Studiengang Fachjournalistik an der Hochschule Bremen. Ihr optimistisches Fazit: Printmedien sterben nicht aus. Doch was die taz angeht, sieht sie nicht so rosig ...

taz: Teenager und junge Erwachsene finden laut Umfragen Zeitungen zunehmend unwichtig. Glauben Sie ernsthaft, dass es in 50 Jahren noch Tageszeitungen gibt?

Beatrice Dernbach: Ich habe die Hoffnung, dass sich hier einfach nur eine Lebensphase etwas nach hinten verschiebt – die Phase, in der man einen eigenständigen Haushalt gründet, eine Familie hat, bis man im Beruf etabliert ist. Dann werden viele doch merken, dass sie eine Tageszeitung brauchen. Allerdings müssen sich dafür die Zeitungen verändern. So wie sie heute sind, können sie die nächsten 50 Jahre nicht überleben. Sie brauchen mehr Serviceorientierung, mehr Hintergrund – eben das, was die schnellen Medien nicht leisten können. Darin liegt die große Chance von Tageszeitung, die ja im Prinzip das inaktuellste Medium, das langsamste Medium ist.

Welche Tageszeitung kriegt denn das am ehesten heute schon hin?

Die Süddeutsche Zeitung ist auf einem sehr guten Weg. Das zeigen ja auch die steigenden Auflagenzahlen.

Was ist denn an der Süddeutschen so viel besser als an der FAZ?

Sie hat das jüngere Image, und das schlägt sich in anderem Layout nieder. Die FAZ erscheint auf Seite Eins immer noch ohne Foto – ob das für jüngere Zielgruppen so ansprechend ist, sei dahingestellt. Die SZ bietet gleichzeitig Hintergrund, aber auch Unterhaltung. Ich glaube, das wird honoriert. Menschen lesen mehr als die oft zitierten 80 Zeilen, von denen viele Praktiker sagen, danach steige der Leser aus. Das glaube ich nicht. Es wird mehr und länger gelesen, wenn es die Leser anspricht.

Wie hat das Internet den Zeitungsmarkt verändert?

Man muss sich den Markt getrennt angucken: Zum einen den Lesermarkt und zum anderen den Anzeigen- oder Werbemarkt. Die Verleger sind mit ihren Markenprodukten, den Zeitungen, in den Onlinemarkt hineingegangen, um sich in erster Linie den Werbemarkt zu sichern, nicht den Lesermarkt. Mit einer Online-Zeitung Leser für die gedruckte Ausgabe zu werben – das funktioniert nicht. Aber der Werbemarkt ist in der Tat bedroht, denn im Online-Medium lässt sich viel serviceorientierter agieren, siehe Kleinanzeigen. Die lassen sich in Minutenschnelle per Suchmaschine aus dem Netz ziehen, während man sonst stundenlang Seiten blättern musste. Ich glaube, dass Online-Zeitungen die etablierten Medien nicht ersetzen werden, sondern ergänzen. Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass Nutzer im Online-Medium etwas anderes suchen, beispielsweise Unterhaltung. Untersuchungen haben ergeben, dass die Zeit hierfür vom Fernsehen abgezwackt wird, nicht von der Zeitung. Natürlich wird im Netz auch Information gesucht, das aber sehr gezielt: vor allem im Bereich des Tourismus- und des Buchmarktes. Eine Studie, die an der Uni Bamberg erstellt wurde, zeigt, dass die Leser wieder weniger Interesse an Online-Zeitungen haben als zur Anfangszeit.

Dennoch sollte es Online-Zeitungen geben. Denn Regionalzeitungen – und wir haben in Deutschland vor allem Regionalzeitungen – bekommen eine internationale Komponente durch das Internet: Leute, die nicht mehr in ihrer Heimat leben, aber dennoch informiert sein wollen, gucken übers Internet, was hier los ist. So werden Regionalzeitungen per Internet zu internationalen Medien.

Sie haben mal gesagt, papierne Zeitungen hätten den Vorteil, dass man sie jederzeit überallhin mitnehmen kann. Das ist mit dem Internet auch schon möglich, und diese Möglichkeiten werden besser werden.

Ich glaube, es wird noch Jahrzehnte dauern, bis sich unsere alten Lesegewohnheiten ändern. Sicherlich werden Jugendliche andere Gewohnheiten haben. Aber gelesen wird nach wie vor, da bin ich sicher.

Ist Ihre Einschätzung nicht zu optimistisch? Wird das Tempo, mit dem schon heute Nachrichten auf uns einprasseln, nicht zu veränderten Lesegewohnheiten führen, die einen 240-Zeilen-Text zur Ausnahme werden lassen?

Die neueste Studie der Stiftung Lesen lässt einen schon etwas skeptisch werden: Da zeigt sich in der Tat, dass Jugendliche immer weniger lesen. Das kommt aber auch aus den Elternhäusern, wo doch eigentlich – so sollte man annehmen – die Generation sitzt, die noch gelesen hat. Warum wird das nicht übertragen? Da läuft, denke ich, auch in der Erziehung manches falsch. Es ist eben anstrengender, mit dem Kind ein Buch zu lesen als es vor den Fernseher zu setzen. Da müssen wir als Wissenschaftler und Pädagogen auch mehr Medienkompetenz vermitteln. Es zeigt sich ja immer wieder, dass Kinder und Jugendliche fürs Lesen auch ansprechbar sind. Das beste Beispiel ist Harry Potter. Lesen können muss man ja auch am Bildschirm. Und das meint nicht nur, die Buchstaben zu verknüpfen, sondern das Gelesene auch zu verarbeiten, zu benutzen. Da hilft das Internet nicht mehr und nicht weniger. Die Leute müssen erkennen: Auch dieses Medium ist nicht sinnvoll nutzbar, wenn ich nicht lesen und verstehen kann. Das wird unterschätzt.

Wie können sich denn Tageszeitungen gegen das Internet behaupten?

Zeitungen sind immer noch das Medium, dem am meisten geglaubt wird. Es folgt das öffentlich-rechtliche Fernsehen, dann – abgeschlagen – die Privaten. Diesen Trumpf sollte Zeitung ausspielen und sich viel stärker als lokaler Akteur einbringen. Was nicht heißt, dass Zeitung oder einzelne Journalisten Politik im Sinne von Partei- oder Rathauspolitik machen sollten. Aber in Forum von Leserforen, Diskussionen zwischen Politikern und Bürgern. Hier kann die Zeitung Organisator sein. Das wird auch immer mehr gemacht, aber vor allem unter Marketinggesichtspunkten. Warum auch nicht?

Wie bewerten Sie den Bremer Zeitungsmarkt?

Hier ist es wie in vielen Städten: Es ist eine Monopolisierung zu beobachten. Die findet auf vielen Ebenen statt. Sie schlägt sich auch nieder in dem, was Leser, was Politiker oder andere Akteure wahrnehmen. Wie man so etwas ändern kann, weiß ich nicht. Es ist sehr schwierig, in einem solchen Markt eine neue oder zweite Zeitung zu etablieren. Das beste, weil jüngst gescheiterte Beispiel ist die Freiburger Zeitung zum Sonntag, die kurze Zeit jeden Tag erschien. Dort sind sogar Gruner & Jahr als potenter Geldgeber eingestiegen. Selbst das ist gescheitert.

Wie sehen Sie denn die taz in dem Konzert der Zeitungen?

Die taz muss aufpassen, dass sie nicht an der Generation von damals hängen bleibt, die das alles initiiert hat. Die Umwelt hat sich verändert, da muss die taz mitziehen. Mir ist sie manchmal zu zynisch, zu ironisch. Die taz ist sicherlich kritisch, aber manchmal auf eine Art, wo ich denke: Könnt ihr nicht mal über euch selbst lächeln? Nehmt euch nicht so ganz ernst. Ihr könnt die Welt nicht unbedingt verbessern, so wie ihr euch das vorstellt. Manchmal habe ich das Gefühl, taz-Schreiber schreiben für sich selbst, aber nicht für den Leser, der eben auch unterhalten werden will. Sagen wir doch nicht immer so abfällig – Unterhaltung, ihgittigitt. Man muss ja nicht immer an Thomas Gottschalk am Samstag Abend denken. Unterhaltung kann auch etwas ganz anderes sein: Informiert werden, so dass man das Gefühl hat, man hat einen Sachverhalt oder eine Person über die Zeitung kennengelernt, und das nicht immer so bierernst.

Glauben Sie, dass die taz diese Wende schafft?

Ganz ehrlich?

Bitte!

Ich denke, wir brauchen so etwas wie die taz, und das ist genau das Problem der taz. Wir schmücken uns damit, dass es in unserer pressefreiheitlichen Landschaft ein solches Projekt gibt – ein bisschen exotisch und kritsch. Aber wenn Sie die Leute fragen, die ein solches Bekenntnis abgeben, ob sie die taz abonniert haben, dann heißt es: nein. Warum nicht? ,Ich hab' schon eine andere Lokalzeitung' – so zieht man sich dann aus der Affäre. Das ist in anderen Bereichen nicht anders: Die Einstellung und das Verhalten liegen sich manchmal diametral gegenüber. Und das wird für die taz mal fatal werden. Das zeigen ja auch die Kampagnen. Sie helfen von einem ins andere Jahr, aber langfristig ist das keine Strategie.

Muss es eine Zeitung wie die taz geben? Bitte sagen Sie ja.

Grundsätzlich haben wir in Deutschland zu wenige überregionale Zeitungen – nämlich eigentlich nur fünf. Was ich der taz ins Hausaufgabenbuch schreiben würde: Sie soll mehr Meinungsführer sein. Das muss sich ja nicht an der Auflagenstärke festmachen. Wie sehr schafft es die taz, Themen zu setzen? Themen, die dann auch über die Agenturen vermeldet werden. Da durchblicke ich von außen die Politik der taz nicht. Immer mal wieder werden die Süddeutsche Zeitung und andere, auch regionale Blätter zitiert, die ein Interview mit einem Politiker geführt haben. Die melden das an dpa, manchmal kommt es sogar in der Tagesschau. Das macht die taz selten. taz wird zu wenig wahrgenommen, weil sie sich zu wenig meldet mit dem Anspruch, Themen zu setzen und die Erste zu sein. Da läge ihre Stärke, weniger im Lokalen. Denn hier hat sie es schwer, gegen die etablierten Lokalzeitungen anzustinken.

Sie sollte sich fürs Überregionale entscheiden und sollte da ihr Profil ausbilden, die Ressourcen reinstecken und sich auch verkaufen. Das mag man als taz-Redakteur mit Stirnrunzeln hinnehmen, aber es gehört zum Geschäft. Die Frage ist doch: Will die taz mit erhobener Faust untergehen oder mit einer etwas heruntergezogenen Faust überleben?

Frau Dernbach, besten Dank.

Fragen: Susanne Gieffers