Alles Gute kommt aus der Wüste

■ Zum Beispiel die Ladies von „Hazeldine“, die im diesmal unverqualmten Lagerhaus für kollektive Melancholie sorgten

... und täglich grüßt das Murmeltier. Hat jemand außer mir auch manchmal das Gefühl, dass sich sein Leben in einer Endlosschleife befindet? In BASIC sähe das so aus: 10 print „Seufz!“ / 20 goto 10. Und die einzige Möglichkeit, da wieder rauszukommen, wäre die escape-Taste. Die findet man bloß nicht. Nur, wenn einmal ein Tag vollkommen ist, wenn es an ihm null auszusetzen gibt, findet man sie. Und ist für den Rest seines Lebens frei ...

Der Gründungsmythos von Hazeldine ist so schön, dass man ihn ruhig noch einmal erzählen darf: 1995, Albuquerque, mitten in der Wüste New Mexicos. Tonya Lamm (git, voc, autoharp, organ), Shawn Barton (voc, git, sexiest female name of the universe) und Anne Tkach (bass, voc) beziehen unterschiedliche Wohnungen im gleichen Haus. Sie kennen sich nicht. „Es brauchte allerdings nicht lange, bis sie musikalische Gemeinsamkeiten entdeckten“ (Info der Plattenfirma). Wie hat man sich das vorzustellen? Zu laut unter der Dusche gesungen oder was? Und plötzlich klingeln die Nachbarinnen und wollen mitsingen? So oder so ähnlich muss es wohl abgelaufen sein. 1997 erschien das Debüt „How Bees Fly“ bei dem kleinen deutschen Label Glitterhouse. Und plötzlich wollte jeder Rezensent beweisen, dass in ihm ein Poet geschlummert hatte: „Klar und traurig wie die Königin der Nacht. Man weiß während dieser von keiner anderen Musik“ (Die Zeit), „Silber und Gold, bitter und süß, still und aufwühlend“ (Rolling Stone) – aber der erste Preis für die lyrischste Metapher geht eindeutig an den Kulturspiegel: „Wie eine schläfrig in der Sonne liegende Sandviper, schön anzusehen, aber immer gefährlich“. Das zog. Prompt wurden Hazeldine vom Major Polydor International eingekauft. Und hängengelassen. Das zweite Album, „Diggin' You Up“, wurde zwar produziert, aber in den USA nie veröffentlicht, wenig später kam die Kündigung. Glitterhouse nahm die verlorenen Töchter wieder in die Arme und veröffentlichte in diesem Jahr „Double Back“, mit dem Hazeldine nahtlos an den traurig-schönen Alternative-Country-Folk-Rock der Vorgänger anknüpfen.

Im Lagerhaus wird keiner der 13 Titel des neuen Albums ausgelassen. Als Opener fungiert „Smaller“: „It might be that I'm stronger / But not today“ – genau, genau, ich sage es ja. Tonyas und Shawns lupenreine Harmoniegesänge wehen bergluftklar durch das heute nicht ganz so verqualmte Kioto, denn: Rauchen gefährdet die Gesundheit Ihres Kindes bereits in der Schwangerschaft, weshalb die Veranstalter eingangs darum baten, es mit Rücksicht auf die schwangere Tonya zumindest unmittelbar vor der Bühne sein zu lassen.

Spätestens beim schmerzhaft schönen „Miss Ordinary“ lauscht auch die letzte Seele im Raum andächtig den Königinnen der Wüste. Pärchen halten sich im Arm, die Köpfe aneinander gelehnt. Aufgelockert wird das Programm durch up-tempo-Nummern, die die schnoddrige Punk-Attitüde, die laut Bassistin Tkach in allen Hazeldine-Songs steckt, etwas deutlicher hervortreten lassen. Aber dann gibt's wieder Stücke über die Einsamkeit der Whiskeytrinkerin vor dem nächtlichen Fernseher. Oder über Rostock. Es gibt, mit Verlaub, wohl nicht sehr viele Bands, die spirituelle Songs über Rostock schreiben können. Und es auch tun.

Ich weiß jetzt, warum die Feuerzeuge in den Konzerten immer geschwenkt werden: Luftkühlung. Meins explodierte bei seiner Aufgabe, meinen Notizblock zu erhellen. Es gibt eben Tage, an denen alles schiefgeht. Und dann gibt es welche, an denen man glaubt, eine ganze Menge richtig gemacht zu haben. Aber an solchen Tagen wie heute, die einem schon beim Aufstehen entgegenrufen: „No way, baby!“, an solchen Tagen braucht man Hazeldine. Die heitern einen zwar nicht auf, aber ihre Melancholie streichelt die eigene.

Tim Ingold