Teigigste Teichmuschel im Teichmuschelteich

Ist HipHop eigentlich nicht schon immer was für Autodidakten gewesen? Oder kann man HipHop auch lernen – gegen Entgelt und in Kursen wie „Beatz bauen“, „Beatboxing“ oder „Turntablism für Fortgeschrittene“? Erste Eindrücke von der weltweit allerersten HipHop-Sommerschule in der Volksbühne

von THOMAS WINKLER

Irgendwann in der Nacht stimmte doch noch alles. Der erste Tag der weltweit ersten HipHop-Sommerschule ging in der Volksbühne seinem Ende zu, da war plötzlich alles so, wie es das Klischee verlangt: Durch den Roten Salon ziehen süßliche Schwaden und auf der Bühne geben sich Milchbärte das Mikro in die Hand. Man wedelt mit den Händen; jeder zweite der Freestyle-Reime haut nicht so ganz hin, aber die meisten nuscheln eh nur. Trotzdem: Ob Strickmütze oder Basecap, Afro oder Dreadlocks, die Köpfe im Publikum nicken.

Nur draußen im Flur will einer stänkern. „HipHop ist in“, plärrt er die Vorbeigehenden an, „ihr wollt HipHop lernen? Ich kann Euch HipHop beibringen. Für nur 40 Mark.“ HipHop lernen, geht das? Gegen Kursgebühr? In Kursen von „Beatboxing“ bis „Producing wie für Wu-Tang“, von „Türkischer Rap“ bis „Turntablism für Fortgeschrittene“? Finanziert zu mehr als zwei Dritteln aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds?

„Mit der Schul-Geschichte haben viele Leute wohl Probleme“, gibt Stefan Kruhl zu. Als künstlerischer Leiter ist er vor allem für das Abendprogramm der fünftägigen Veranstaltung zuständig, das allein schon ein veritables Rap-Festival wäre. Schließlich treten bis einschließlich Montag nahezu alle Berliner Größen auf, darunter die Monster-of-RapePosse, Harleckinz, Pyranja, Dejavue oder die Analphabeten, aber auch bekannte Gesichter aus dem Rest der Republik und internationale Spitzenkräfte.

In der Öffentlichkeit allerdings hat bislang vor allem das Kurs- und Workshopangebot Aufmerksamkeit erregt. Die grundsätzliche Idee hinter der Sommerschule war immer die einer klassischen HipHop-Jam: Sprayer und Rapper, DJs und Beatboxers, Fans und Aktive, Amateure und Profis treffen sich, feiern, tauschen sich aus, lernen im Idealfall voneinander. Nur: Diese Jam dauert fünf Tage und das Lernen wird organisiert. Anmeldung, Kursgebühren und Stundenplan inklusive.

Und daran, an der Organisation, hapert es am ersten Tag noch. Vor dem für die Veranstaltung angemieteten Büro in einer kleinen Seitenstraße nicht weit von der Volksbühne erzählt man sich, die Berliner Szenegröße MC Gauner habe den für vormittags um 11 Uhr angesetzten Beginn ihres eigenen Workshops „MCing & Beats & Produktion“ verpasst, sei aber momentan unterwegs, um ihr Equipment nach Kreuzberg in die dortige Feuerwache zu schaffen. Quer durchs Chaos aus Technikern, Organisatoren und Sommerschülern auf der Suche nach ihrem Kurs schlängelt sich auch die deutsch-türkische Rapperin Aziza-A und will ihren Dozenten-Ausweis abholen. In Klassenraum 24, einer mit fahlgelben Fliesen gekachelten ehemaligen Garderobe übt die Diplomsprecherzieherin Maren Böhm mit einer Schülerin und einem Schüler: „Sie war die teigigste Teichmuschel im Teichmuschelteich.“ Nebenan planen die vier Dozenten der Klasse „Puppentheater“ den Tag: „Heute malen wir alle Häuser, S-Bahnen und eine U-Bahn für die Kulissen, morgen alle Puppen.“ Entstehen sollen Puppen aus Pappe, mit denen am Montag dann eine Sprüher-Geschichte aufgeführt werden soll. Das Problem: Bisher ist erst ein Schüler da. „Aber wir sollen noch vier Leute dazukriegen . . . hoffentlich.“

So einmalig die Idee der Sommerschule, so wenig bekannt ist sie geworden. Die Plakatierung in Berlin war eher rudimentär, die Vorabberichterstattung in der Presse hätte besser sein können. Vor allem aber haben es die Organisatoren verpasst, in den Medien der HipHop-Szene präsent zu sein. Die eigene Website der Sommerschule registriert zwar 300 bis 400 Hits täglich und bis Freitagmittag hatten sich immerhin 220 Schüler für insgesamt 101 Kurse angemeldet, doch in einschlägigen HipHop-Magazinen wie Backspin und Juice wird nicht einmal auf den Termin hingewiesen. Auch in den meisten HipHop-Foren im Internet wurde das Ereignis nicht diskutiert. Erst jetzt tauchen die ersten Postings auf: „Shit, das is ja schon heude!“

Heute ist Donnerstag und es hat zu regnen begonnen. Der Basketball-Court direkt vor der Volksbühne bleibt vorerst verwaist, die Sprayer haben sich nach innen geflüchtet. Dort suchen nun doch immer mehr HipHop-Headz im schulpflichtigen Alter nach Kursen wie „Beatz bauen“. Noch aber sind fast mehr Fotografen und Kamerateams auf der Suche nach szenerelevanten Motiven unterwegs.

Der Electric-Boogie-Lehrer Jerome begibt sich derweil mit seiner Gruppe im Schlepptau und einem Ghettoblaster unterm Arm auf die Suche nach einem stilleren Plätzchen: „Manche schämen sich, wenn so viele rumstehen und zugucken.“ Sie landen schließlich direkt zwischen dem Radiokabuff, aus dem live über Antenne (104,1 MHZ) und Kabel (92,6, OKB) übertragen wird, den Kühlschränken eines Sponsors, aus denen man sich kostenfrei mit Softdrinks versorgen kann, und einer Garderobe, in der täglich eine dreistündige Sendung für den Offenen Kanal produziert werden soll, wenn nicht gerade ein bestimmtes Kabel fehlt.

Shit happens eben. So hat einer der angekündigten Stars aus Amerika, die Rapperin Rah Digga, ihren Auftritt für den freitäglichen Female-Choice-Abend abgesagt und musste durch die weitgehend unbekannte Ari aus Spanien ersetzt werden. Immerhin aus Kreuzberg dringt frohe Kunde. In der Feuerwache findet, zwar mit Verspätung, aber immerhin, doch noch der Rap-Workshop von MC Gauner statt. „Ganz toller Kurs“, heißt es auf den Fluren der Volksbühne. „Wenigstens einer“, sagt jemand aus dem Organisationsbüro.

Vielleicht verträgt sich die Schulform schlicht nicht mit den anarchischen Strukturen einer Szene, die nicht unbedingt auf Solidarität und Kooperation gebaut ist, sondern den Prinzipien des Battle, des Wettstreits mit Reimen, Graffiti, DJ-Tricks und Breakdance-Moves verpflichtet ist. Hatte nicht selbst Dozent Gauner in einer Einführung zu seinem Kurs festgestellt, dass Workshops für HipHop „eine sehr zweischneidige Sache“ sind, und gefragt: „Ist HipHop eigentlich nicht immer schon autodidaktisch gewesen?“

Abends, die Eröffnungsparty hat schon begonnen, stellt sich die Veranstaltung weiter als eine Art Work in progress dar. Bühnenarbeiter tragen Equipment durch die Flure. „Zum Kotzen, kein Licht, kein gar nichts“, bricht es aus einem der Veranstalter heraus, als er hektisch das Sternfoyer quert, „ein Wichsladen“.

Licht findet sich dann doch noch, auch der Rote Salon füllt sich. Schwere Beats rollen durch den Raum. Am Open Mike skandiert einer der Amateure: „HipHop ist tot“, aber schon ein paar Meter vor der Bühne wird das Gegenteil bewiesen: Um einen der kleinen Tische sitzt eine Hand voll Writer mitten im Lärm und zeichnet seelenruhig Entwürfe aufs Papier.

Die HipHop-Sommerschule, noch täglich von Samstag bis Montag in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz