Das große Schweigen von Bremen

Die taz Bremen stört viele, weil sie die Krise des Stadtstaates nicht schönschweigt – und gerade deshalb muss sie sein

von KLAUS WOLSCHNER

Auf die Frage: „Muss die Bremer taz sein?“ würde es in dem Städtestaat Bremen sicherlich unterschiedliche Antworten geben.

Seit sechs Jahren regiert in Bremen eine große Koalition, die zunehmend den Eindruck verbreitet, die Krise des Stadtstaates sei vor allem ein Marketing-Problem. Die Information der Bürger über staatliche Angelegenheiten wird nach den Lehrweisheiten der PR-Berater privater Unternehmen abgewickelt.

Der neue Bremer Bildungssenator Willi Lemke benutzte, als er vor zwei Jahren in die Politik wechselte, im ersten Kontakt-Gespräch mit den Schulleitern das Bild der „Kabine“.

Differenzen, sagte Lemke, offenbar noch ganz unter dem Eindruck seiner Arbeit als Manager des Fußball-Bundesligisten SV Werder, würden „in der Kabine“, also intern, ausgetragen.

Sobald aber die Spieler rauslaufen auf das Spielfeld, gibt es nur noch freudig-optimistische Mienen und ein gemeinsames Ziel. Im Sinne der PR privater Unternehmen wird Kritik auch gern als „Standortschädigung“ klassifiziert: Bremens Finanzkrise erfordert parteiübergreifendes Zusammenstehen.

Da stören die vier Seiten Bremer Lokalteil der taz. Fast täglich stören sie, weil sie die Lust an der streitbaren Auseinandersetzung um richtige Entscheidungen ausstrahlen. Und das seit 1986. Seit dieser Zeit erscheint die taz in Bremen täglich – nach einer zweijährigen Aufbauphase (siehe nebenstehenden Kasten).

Kontroverse stört nicht das schöne Bild, sondern ist die Bedingung demokratischer Meinungsbildung. Die Lehrer haben schnell gemerkt, dass es eine offene Aussprache im Sinne von „Beratung“ in der Kabine nicht gibt. Der Senator wollte ihnen nur einen Maulkorb umhängen. Und wenn sie trotzdem mal reden, zum Beispiel in der taz, kann es ihnen passieren, dass sie danach heftig ins Gebet genommen werden.

In der Kulturpolitik gibt es in Bremen einen breiten gesellschaftlichen Konsens – gegen die Senatspolitik. Als der Bremer Senat als Essential seiner Sanierungsstrategie erklärte, die Zahl der Bewohner des kleinen Städtestaates müsse um acht Prozent oder mehr wachsen, da war die kleine taz die einzige Zeitung, die Zweifel anmeldete an der Seriosität solcher Zielvorgaben.

Alle bundesdeutschen Großstädte verlieren Einwohner – an ihr Umland. Heute, sechs Jahre danach, ist die neue Senatslinie: Den Einwohnerverlust ans Umland stoppen!

Kritische Anmerkungen behalten nicht immer Recht, auch das ist so banal wie wahr. Aber selbst wenn sie Recht behalten, sind die Kritiker immer die Miesmacher. Journalisten, die ihren Beruf ernst nehmen, müssen das ertragen, auch den drängenden Ruf nach mehr „Positivem“.

In Bremen hat gerade die CDU in einer internen Meinungsumfrage ihre Chancen für die nächsten Wahlen im Jahre 2003 ausgelotet. Ergebnis: Die Wirtschaftspolitik der großen Koalition wird der SPD von Henning Scherf positiv angerechnet (die damit wirklich wenig zu tun hat). Die SPD kann darauf hoffen, dass sie die absolute Mehrheit im Landtag erringt, die CDU dümpelt unter 30 Prozent. Ihr wird das Mit-Regieren in der Wählergunst keine Gewinne einbringen.

Dieses Stimmungsbarometer ist ein Ergebnis fehlender oder mangelhafter Transparenz dessen, was wirklich in der Politik passiert ist in den letzten Jahren. Über das, was es an politischen Erfolgen gegeben hat, und über versäumte Entscheidungen ließe sich trefflich debattieren, ein Grund, SPD zu wählen, lässt sich daraus am allerwenigsten ableiten.

Aber wenn Diskussionen vor Entscheidungen nicht transparent sind, werden sie am Ende dem gutgeschrieben, der sich erfolgreich aufs Foto drängt.

Lust an der Verhüllung

Im Weser-Report, der auflagenstärksten Zeitung in Bremen, durfte denn auch der CDU-Fraktionsvorsitzende im Interview die vertraulich gehaltene Expertise selbst interpretieren. Statt der Lust an der Enthüllung des geheimen Herrschaftswissens erleben wir Journalismus als Sucht nach Nähe zur Herrschaft. Da will die Bremer taz stören, tagtäglich.

Gerade deshalb muss sie sein!