buchtipp
: Durch die Wilderness

Langer Marsch

Menschen, die durch Wüsten laufen, denken in einer anderen Dimension. Colin Fletcher ist einer von ihnen. Er hat wochenlange Märsche durchgestanden und darüber geschrieben.

Nach Wanderjahren in Afrika und Kanada ließ er sich an der amerikanischen Westküste nieder und wollte zu Fuß „Amerika entdecken“. Sein Buch über seine Tour durch Kalifornien mit dem Titel „The Thousand-Mile Summer in Desert and High Sierra“ liegt erst jetzt in deutscher Übersetzung vor.

„Kalifornischer Sommer“ erzählt den langen Weg von der mexikanisch-kalifornischen Grenze bis hinauf nach Oregon. In wenigen Tagen legen wir lesend eine Strecke durch die Wilderness des Westens zurück, für die der Autor in Wirklichkeit mehrere Monate benötigte.

Schon beim Packen sind wir dabei, lernen die ausgeklügelte Logistik des Autors kennen: vom Versand von Trockennahrung zu entlegenen Poststationen bis zum Vergraben von Trinkwasserkanistern für die Wüstenabschnitte. Jedes Einzelteil hat in dem 25 Kilogramm schweren Rucksack seinen eindeutigen und wohl überlegten Platz. Eine Liste aller Ausrüstungsgegenstände mit Gewichtsangabe hat Fletcher im Anhang des Buches zusammengestellt.

Als Fletcher aufbricht, wählt er bewusst den östlichen Teil des bevölkerungsreichsten Bundesstaates mit besonders abgelegenen Gebieten. Ihn interessieren die Randzonen, der aride und gebirgige Grenzbereich der Bundesstaaten Arizona und Nevada.

Er nimmt uns mit auf eine Reise, bei der die Zeit keine Rolle spielt: auf den Wetback Trail illegaler Einwanderer im Süden, entlang dem breiten Colorado River; bei Needles kreuzt er die Route 66, ehe er die Majave-Wüste und das Death Valley durchquert. Die zweite Etappe führt durch die Ausläufer der High Sierra, am Lake Tahoe vorbei und durch die Wälder Nordkaliforniens, immer weit abseits der geteerten Straßen.

Fletcher kämpft mit sich und der Einsamkeit, mit Durst und Klapperschlangen. Er sucht seinen eigenen Rhythmus und findet ihn schnell. Seine Stärke ist die Beschreibung von Begegnungen mit der Natur, mit kleinen Tieren, skurrilen Menschen, mit einzigartigen Lichtstimmungen und mit inneren und äußeren Zuständen.

Eine nächtliche Passage verdichtet er zu folgenden Sätzen: „Weder Gerüche noch Geräusche waren da. Nur Stille und Dunkelheit und Andeutungen gigantischer, leerer Räume. Die Welt wurde zu etwas Verschwommenem, das nur dadurch Realität erlangte, dass es an meine Füße stieß. Entfernungen waren nur noch Punkte auf der Karte. Und die Zeit war die schleichende Bewegung der Uhrzeiger.“

Ein halbes Jahr später erreicht Fletcher im Norden die Grenze zu Oregon. Er stellt seinen Rucksack ab, kocht sich eine Suppe und ritzt seinen Namen in die Rinde eines Baumes.

Darunter setzt er: „Kalifornien 1958 – Mexiko 8. März, Oregon 8. September“.

TILL BARTELS

Colin Fletcher: „Kalifornischer Sommer“. Diana Verlag, München und Zürich 2001, 38 DM