Und der Verstand verliert den Verstand

Woher der Hass? Wer Peter Maffay hört, wird von allen Freunden verlassen – dabei ist er modern wie Harald Schmidt

IN Ich kam nach Hause, packte die neue Platte von Peter Maffay aus und legte sie auf. Du gibst alles, wenn du gibst. Aaaah: „So bist du“. Ein Klassiker, in diesem Jahr musikalisch neu arrangiert, in dem in erstaunlichen Worten die Tiefe eines menschlichen Gefühls beschrieben wird.

– ?!!!? –

Riesengeschrei. Krisengespräche im Flur. Sofortige Einberufung des Familienrats. Die Anklage donnerte die Lebenspartnerin: „Ich will nicht mit jemand zusammen sein, der sich soooo einen Scheißdreck anhört.“

Ach so? Aber auf der Plaza von Pollenca ausrasten vor Begeisterung, wenn am anderen Ende plötzlich ein Zwerg in Lederjacke aus dem „Cafe Espanyol“ tritt.

„Daaaa!“

„Wo?“

„Da!“

Ein Zwerg in Lederjacke?

„Das ist eeeer!“

Tatsächlich. Da ging er tatsächlich über die mallorquinische Plaza. Peter Maffay. Dieser Urlaub war gerettet.

Aber zu Hause? Totschweigen („Du schreibst das nicht auch noch auf. Willst du uns überall unmöglich machen?“)

Ich nahm einen Freund im Auto mit. Ein durchaus liberaler Kerl. Ich schob beiläufig die Kassette rein. „Karneval der Nacht“! Die Einsamkeit des modernen Menschen in der postindustriellen Gesellschaft und seine Flucht in gesundheitsschädliche Genussmittel. Aah! Ich ließ den Freund an der nächsten Ampel raus. Ich habe ihn nie mehr gesehen.

Warum erteilt einem der Secondhand-Verkäufer sofort Hausverbot, wenn man zur Komplettierung seiner Sammlung „Revanche“ kaufen will? Warum schreit der Kollege auf die bloße Erwähnung des Namens: „Erschießen!“? Und man kann nur schwach hoffen, dass er Maffay meint.

Peter Maffay (51) ist doch seit 30 Jahren eindeutig essenzieller Teil der Gegenwartskultur unserer Bundesrepublik. Hat eben eine Nummer-1-Platte rausgebracht. Ist in diesen Tagen auf großer Tournee. Warum tun so viele Menschen, als existiere er nicht? Obwohl sie in einer Quizshow auf die 100.000-Mark-Frage: Wer ist der Steppenwolf? Eindeutig Maffay sagen würden. Weil sie Haller nur noch als Schütze des ersten Tores im WM-Finale von 1966 kennen. Wenn überhaupt.

Ein alter Kulturwissenschaftler sagte mir: Es sei nicht die Schlagervergangenheit. Auch nicht die Schlagergegenwart. Mit Maffay verbinde sowohl der zur Vernunft als auch der zum Nihilismus strebende Mensch eine zwanghafte Ernsthaftigkeit. Und zwar sowohl in seiner Arbeit als auch in seiner Person. Maffay nennt einen Krieg noch einen „sinnlosen Krieg“. Er kämpft dagegen, dass ein Mann seine Zärtlichkeit verliert usw. Kurz: Er hält an Werten fest. Und er meint, was er sagt.

In der Welt der nihilistischen Spaßgesellschaft ist er damit nicht nur eine solitäre Erscheinung, sondern praktisch schon ein Einzelgänger (eben jener „Steppenwolf“ von der gleichnamigem LP von 1979!).

Es ist diese unerschütterliche Ernsthaftigkeit („Du lachst, wo es nichts zu lachen gibt“), mit der Maffay die Grenzen in den Zeiten des Humorzwangs so gesetzt hat, dass sich die einen ausgeschlossen fühlen. Offenbar besteht die Sorge der entwickelteren Sorte Maffay-Verächter aber auch darin, dass dieser außergewöhnliche Ernst nicht als von Schiller geforderte ästhetische Form tauge, die dem Menschen letztlich den Weg zur Vernunft weist.

Mein Schlussplädoyer vor dem Familienrat: Vielleicht hält Maffay sich nicht selbstsüchtig damit auf, eigene Beschränkungen durch Selbstironiefähigkeit zu sprengen. Vielleicht will er mehr: Den Glauben an den Sinn des ernsthaften Handelns für uns alle bewahren. Vielleicht kann er sich anders als die Zyniker nicht selbstironisch vom dem essenziellen Wertezentrum distanzieren, das unser Zusammenleben erst ermöglicht – vielleicht ist ja er, Peter Maffay, selbst dieses Zentrum.

Schweigen im Gericht.

Ich schreie: Harald Schmidt hat es doch postuliert: Nach der Ironie kommt das Pathos! Und speziell zu ihr: Und wenn ich sterb, dann stirbt nur ein Teil von mir, und stirbst du, bleibt deine Liebe hier. Lahahaha-haha-hahaha-haha (Saxophon, bitte.)

OUT Wo sind denn alle?

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