Abenteuer mit Vollkasko


von ANDREAS ALTMANN

Am rabiatesten richten sie ein Lieblingswort zu: das schöne, das dunkle, das muskulöse Wort Abenteuer. Orgien der Gewöhnlichkeit laufen heute unter diesem Begriff. Kaum organisiert jemand einen Waldspaziergang, lese ich darüber in einer bekannten Tageszeitung unter dem aberwitzigen Titel „Abenteuer Freizeitgestaltung“. Ein Herrenmagazin, nachdrücklich verlangt von „echten Männern“, annonciert auf seiner ersten Seite „Lust auf Abenteuer“. Ich stürze drauflos und finde inwendig zwei spektakulär frisierte Fotomodelle, die unter der Überschrift „Outfits für Eroberer“ geschmackvoll abgestimmte Viskosesocken von Valentino, handgebügelte Hemden von Fiorucci und ein tailliertes Seidenjackett von Jil Sander vorstellen. Sie stehen mitten im Urwald von Borneo, und an ihren Fesseln tragen sie raffiniert geschnittene Sandalen von Kenzo. Als Alternative zu den edlen Rindslederstiefeln von Santini und Domenici.

Ein paar Seiten später wird es dann ernst. „Wenn Helden reisen“, heißt es jetzt, und der Leser erfährt die „wichtigsten Geheimtipps, um sich auf abenteuerliche Weise fortzubewegen, um als richtiger Kerl seine eigenen Grenzen kennen zu lernen“. Ein wirklich starkes Stück Text. Die Redaktion verrät Geheimtipps für Eroberer und Hasardeure. Alle auf der Suche nach eigenen Grenzen.

Erbarmen mit diesen Maulhelden! Ein Beispiel mag zeigen, wie peinlich der Aufprall ist, wenn die dünne Realität nicht hergibt, was die so fett gedruckten Worte versprechen: „Motorradfahren in China“ traut man sich anzubieten. Aber herdenweise, unter Aufsicht, zwei Wochen lang 250 Kilometer pro Tag auf nagelneuen BMW-Maschinen. Und abends ins reservierte First-Class-Bettchen. Das einzig Aufregende an diesem Kinderpopoausflug ist der Preis: 9.850 Deutschmark für ein solches Abenteuerlein. Fürze, nasse Fürze im Wind.

Ein großer Verlag veröffentlicht unter dem Titel Abenteuerreisen ein Taschenbuch. Ich besitze es. Das erste Kapitel berichtet von einem Niederbayern, der ein rollendes Hotel erfunden hat. 39 Abenteurer dürfen bei ihm mitfahren. Und „hautnah erleben“. Dazwischen deutsche Küche und Vollpension. Weiter hinten im Buch spaziert ein anderer Recke ein paar Stunden auf dem ausgelatschten Inka-Trail zum Machu Picchu.

Den Höhepunkt liefert ein dritter Gigant, der für zwei Tage im Gefolge seiner Mitstreiter und der fürsorglichen Anwesenheit eines deutschen Führers durch den Dschungel am Äquator zieht, um die „Eingeborenen in ihren typischen Festgewändern“ heimzusuchen. Der Autor dieses nervenzerfetzenden Berichts zitiert noch die Werbebroschüre, letzter Beweis für den Trip durch die Hölle, der gerade hinter ihm liegt: „Diese Expeditionen sind nur geeignet für jene, die Sinn für das Echte haben. Hier haben Sie die Chance, das echte Reiseabenteuer zu erleben.“

Und sie schämen sich nicht. Nicht für das schamlose Ablichten von „Wilden“ (doch das ist ein anderes Thema), nicht für den schamlosen Missbrauch eines Worts, das allemal zu gewaltig ist, um die läppischen Spritztouren dieser Sonntagsausflügler zu beschreiben.

Diese monströse Verschwendungssucht von Superlativen, diese eiskalte Hinrichtung eines sagenhaften Worts. Der Vollkasko-Tourist mit einmal 60 Minuten freiem Auslauf pro Tag gilt als Abenteuer-Urlauber. Das Foto seiner Frau, den Häuptling umarmend, als Nachweis für die „aufregende Begegnung mit fremden Kulturen“.

Der Autor lebt in Paris und ist Mitglied der Reportage-Agentur Zeitenspiegel