So werden Sie neuer Papst

von PHILIPP GESSLER

Wollten Sie schon immer mal an der Spitze der Kirche stehen? Dann wird es jetzt Zeit für Sie, aktiv zu werden: Da genügt ein Blick auf den kranken, alten Mann, den Sie an Pfingsten wieder im Fernsehen beobachten können. Wenn Sie eine Frau sind, müssen Sie allerdings noch eine Weile warten. Um ehrlich zu sein: Dass es eine Päpstin gibt, ist in Ihrer Lebensspanne nicht mehr zu erwarten. Das verbessert die Aussichten der Männer. Wenn Sie ein katholischer Christ sind, stehen Ihre Chancen bei eins zu fünfhundert Millionen. Als Kandidat müssen Sie nicht einmal Priester sein. Theoretisch. In der Praxis haben Sie nur dann eine Chance, wenn Sie es vorher schon zum Kardinal gebracht haben. Dann kann das Spiel beginnen.

1. Sie dürfen nicht zu jung sein. Zugegeben: Das ist ein Kriterium, das Sie selbst kaum beeinflussen können. Trotzdem ist es die wichtigste Voraussetzung. Schließlich verfügen Sie als Papst über eine fast uneingeschränkte Machtfülle – und Sie sind kaum absetzbar. Deshalb wählen die Kardinäle seit Jahrhunderten nur einen Kandidaten in fortgeschrittenem Alter. Ob gut, ob schlecht – er ist bald wieder weg. Die besten Chancen haben Sie, wenn Sie in den 20er- oder 30er-Jahren geboren sind. Wenn Sie jetzt noch im Spiel sind: Danken Sie dem lieben Gott dafür.

2. Kommen Sie nicht aus einem Land, das weltpolitisch mächtig ist. Klar, als Papst haben Sie keine Soldaten, aber Sie haben auch außerhalb der Kirche Macht. Das sehen Sie schon an der Rolle, die Ihr Vorgänger beim Fall der realsozialistischen Regime 1989/90 gespielt hat. Deshalb sehen es die Kardinäle nicht gern, wenn Sie aus einem ohenhin schon mächtigen Land stammen. Nicht nur als Amerikaner, sondern auch als Deutscher haben Sie also schlechte Karten. Leichter könnte im Konklave der Heilige Geist auf Ihnen ruhen, wenn Sie aus einem politisch nicht ganz so wichtigen Land kommen – aus Italien etwa. Sollte das nicht der Fall sein: Wie wäre es mit einem Wohnsitzwechsel?

3. Stellen Sie sich gut mit Ihren Kollegen aus Italien, Deutschland und den USA. Als Deutscher können Sie Ihr großes Ziel auch deshalb schwer erreichen, weil die Kirche Traditionen liebt. Einen Kardinal aus deutschen Landen hat sie zum letzten Mal vor mehr als 900 Jahren zum Papst erhoben. Dennoch haben die Deutschen nach den neuesten Kardinalsernennungen im Februar ziemlich viel Macht: Sie stellen die drittgrößte Truppe an wahlberechtigten Kardinälen. Nur Italiener und Amerikaner haben mehr Einfluss. Bringen Sie also Ihre deutschen Kollegen hinter sich – und gewinnen Sie die Lateinamerikaner noch dazu. Sie haben 27 Wahlstimmen, mehr als die Italiener. Die Hälfte der Katholiken lebt in Lateinamerika, etwa 500 Millionen Menschen. Dass Ihnen ein Kandidat aus der „Dritten Welt“ in die Quere kommt, müssen Sie trotzdem nicht fürchten. Noch immer kommen etwa 80 der 135 Kardinäle aus Europa, Nordamerika oder Australien.

4. Profilieren Sie sich als frommer Mann. Jetzt denken Sie wahrscheinlich, das sollte man von jedem Kardinal erwarten. Aber manche Ihrer Kollegen haben sich eher als Politiker und Taktiker einen Namen gemacht, zum Beispiel Karl Lehmann aus Mainz. Gerade weil sich der jetzige Papst vehement in die Politik eingemischt hat, hoffen viele auf einen Nachfolger, der die spirituelle Seite der Kirche betont. Aber auch Karol Wojtyla galt bis zu seiner Wahl vor allem als marienfromm. Das war ein Plus.

5. Kehren Sie den Dorfpfarrer heraus. Sie können gut mit den einfachen Leuten? Wunderbar! Ihre Chancen steigen. Darauf hat Pater Andrew Greeley, ein Soziologe und hervorragender Vatikankenner, schon nach den Papstwahlen von 1978 hingewiesen: „Der beste Weg, das Papstamt anzustreben, ist es, möglichst wenig zu sagen.“ Beschränken Sie sich auf „allgemeine Wahrheiten und Plattitüden“, rät Greeley – „eine genaue Parallele zu Wahlkämpfen für die US-Präsidentschaft“. Außerdem wünschen sich die meisten Kardinäle einen fleißigen Aktentüftler, der die Schreibtischarbeit nicht so flieht wie der jetzige Papst. Also lassen Sie sich möglichst beim Plausch mit Arbeitern und bei mühsamer Büroarbeit fotografieren.

6. Legen Sie sich politisch nicht fest. Die Konservativen haben im Konklave die Mehrheit. Aber das genügt nicht: In den ersten 28 Wahlgängen wird Einstimmigkeit verlangt. Das ist die Stunde für Kompromisskandidaten wie Sie. Aber Vorsicht: Der Florentiner Erzbischof Silvano Piovanelli ist Ihnen dabei dicht auf den Fersen. Der gilt als gemäßigt liberal, hat das richtige Alter, stammt aus Italien und soll dem Typ eines frommen Dorfpfarrers entsprechen – er könnte Sie ausstechen.

7. Achten Sie auf Ihre Gesundheit. Auch wenn Sie es heute kaum noch glauben können: Johannes Paul II. wurde als Sportskanone zum Papst gewählt. Schließlich war sein Vorgänger schon nach 33 Tagen gestorben – wegen schwacher Gesundheit, wie es offiziell hieß. Wir lernen: Die körperliche Verfassung gilt als wichtiges Kriterium. Deshalb müssen Sie auf alles gefasst sein. Bei einer früheren Papstwahl wurde ein hoch gehandelter Kandidat auf dem Flughafen von einem Krankenwagen empfangen. Seine Gegner sollen die Ambulanz gerufen haben – es war bekannt, dass der Kardinal Herzprobleme hatte.

8. Sprechen Sie um Gottes willen nicht über Ihre Ambitionen. Das kommt ganz schlecht. Nehmen Sie sich ein Beispiel am Mainzer Bischof Karl Lehmann. Frisch zum Kardinal gewählt, wurde Lehmann gleich nach dem nächsten Schritt auf der Karriereleiter gefragt. Er sagte nicht Ja oder Nein, sondern: „Wer nach diesem Dienst schielt, weiß meines Erachtens vielleicht nicht, was er tut. Auf jeden Fall hätte ich Zweifel an dessen Eignung für den Petrusdienst.“ Ihr Verhalten sollte sich deshalb am Rat von Pater Greeley orientieren: „Wenn Sie glauben, Sie würden gern Papst sein, stellen Sie sicher, viel zu reisen, damit die anderen Kardinäle sie kennen lernen können oder zumindest Ihren Namen mit einem Gesicht verbinden können. Wenn Sie sich Ihrer Sache sicher sind, seien Sie auch sehr vorsichtig in dem, was Sie sagen und was Sie nicht sagen.“ Denken Sie an den alten römischen Spruch: „Wer als Papst in ein Konklave geht, kommt als Kardinal heraus.“

9. Achten Sie auf ein gutes Verhältnis zur römischen Kurie. Kurienkardinäle wollen in der Regel keinerlei Überraschungen – sie haben sich im Vatikan eingerichtet. Ein Neuer könnte Veränderungen bringen, womöglich sogar unangenehme. Mit etwa zwanzig wahlberechtigten Kardinälen ist die Kurie selbst eine wichtige Wählergruppe. Schlimmer noch für Sie: Diesen Purpurträgern werden eigene Ambitionen nachgesagt.

10. Sollte es trotz dieser Tipps für Sie knapp werden: Schwenken Sie spätestens im Konklave zu den Konservativen. Die pauken Sie durch. Vom 29. Wahlgang an genügt in der Sixtinischen Kapelle eine Zweidrittelmehrheit. Auf die wenigen Liberalen können Sie dann verzichten. Die große Mehrheit der Kardinäle ist konservativ – denn der jetzige Papst hat sie praktisch alle selbst ernannt. Diese Konservativen könnten sich im Konklave darauf beschränken, die einstimmige Wahl eines Papstes so lange zu verhindern, bis nur noch die Zweidrittelmehrheit gilt und sie ihren Mann durchdrücken können. Das ist keine unwahrscheinliche Variante.

11. Glückwunsch! Sie haben es geschafft. Dank der unergründlichen Weisheit des Herrn, der Mithilfe Ihrer Freunde und der Nachhilfe durch den Heiligen Geist ist die Wahl der Kardinäle auf Sie gefallen. Jetzt tritt man unter Michelangelos Fresko des Jüngsten Gerichts an Sie heran und fragt, ob Sie die Wahl annehmen. Das ist Ihre letzte Chance: Sagen Sie „Nein“! Aus allem, was Sie über das Leben Ihrer Vorgänger erfahren haben, wissen Sie: Der Papst ist der einsamste Mann auf der Welt, er hat einen 16-Stunden-Tag, und wegen der Übermacht von Tradition und Kurie kann er sowieso nichts verändern. Kurz: Es ist ein Höllenjob.