Cross-dressing in Theben

Am Schauspielhaus: Jan Bosse steckt seinen König „Oedipus“ in Röcke  ■ Von Liv Heidbüchel

Mit der Stadt Theben und ihrem Herrscher Oedipus ist nur so lange alles in Ordnung, wie das Stück noch nicht richtig losgegangen ist. Der König (Jens Harzer) steht im streng geschnittenen, roten Faltenrock und grauem Presswurstpulli erhaben auf einem Laufsteg und damit auf der Höhe seiner Macht. Auf dem nachlässig verlegten Kachelfußboden schreitet ein Mann in Anzug und Sorgenmiene auf und ab. Guckt er angespannt, ob das Haus zur letzten großen Premiere dieser Spielzeit auch gut besucht ist?

Der Mann auf der Bühne jedoch ist der Chor, der von Anfang an keinen Hehl daraus macht, dass es schon bald zu den bekannten schrecklichen Enthüllungen kommen wird: Theben krankt, weil Oedipus – unwissentlich – seinen Vater erschlagen und seine Mutter geehelicht hat. Kaum jedoch hat er die Wahrheit um sein Schicksal ans Licht gezerrt, nimmt er sich selbst das Augenlicht. Was die grauenhaften Fakten weder ungesehen noch ungeschehen macht.

Regisseur Jan Bosse, der mit Haltestelle. Geister. auch für die Spielzeiteröffnung sorgte, fokussiert nun bei Sophokles' Oedipus in der Hölderlin-Übersetzung den Kontrast von heiler Bühnensprache und gleichzeitiger Auflösung der vermeintlich intakten Welt. So treffen wir nicht nur reihenweise Männer in Röcken, auch der Chor ist eine Frau (Jennifer Minetti). Cross-dressing in Theben: Funktioniert zwar Minettis Androgynität für den geschlechtslosen Chor, passiert jedoch bis auf die Verbreitung hässlicher Ästhetik und Verlorenheit nichts (Kostüme: Kathrin Plath). Licht und Bühnenbild (Stéphane Laimé) vermitteln schon mehr Psychologie: Halbrunde Leinwände illus-trieren Oedipus' inneren Zustand. Die fotografierte Landschaft verschwimmt mehr und mehr, bis sie ganz zerfällt.

An Hauptdarsteller Jens Harzer zeigt sich am vollen-detsten die stilisierte Künstlichkeit der Inszenierung: Zwischen Verwunderung und überheblicher Eindringlichkeit changiert sein fesselnder Singsang, den er auch im letzten Teil durchhält. Am Ende steht er selbst als würdelos bettelnder, bis auf den Unterrock entkleideter Verzweifelter – und berührt vor allem durch Ekel. Längerfristige Betroffenheit will sich jedoch nicht einstellen. Und auch eine Antwort auf die Frage, was das Einzelschicksal in seiner Unentrinnbarkeit mit dem Hier und Heute zu tun hat, gibt Bosses dis-tanzierte Inszenierung nicht.

nächste Vorstellungen: 18. + 28.–30. Juni, jeweils 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus Hamburg