„Wie organisiere ich am schlauesten einen Rufmord?“

■ Der GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Martin Schmidt über Hamburgs Presse

Hartmuth Wrocklage hat einen schweren Fehler gemacht, er hat gegen eine Grundregel verstoßen, die für alle Politiker gilt: Er hat die Presse, die ihn angegriffen hat, kritisiert. Das darf man nicht tun, wenn man Senator ist und bleiben will. Ich kann mir das leisten, erstens, weil ich nicht angegriffen worden bin, zweitens, weil ich ein unabhängiger Abgeordneter bin und drittens, weil mir völlig wurscht ist, was über mich geschrieben wird.

Mit einigen der Damen und Herren, deren Werke ich kritisiere, habe ich bislang, wie es sich gehört, freundliche Beziehungen gepflegt – und mich immer an die erwähnte Spielregel gehalten. Aber angesichts dessen, was in den letzten drei Wochen in Hamburgs Medien los gewesen ist, gilt der Satz des Aristoteles: Plato amicus, veritas amicior (Platon ist mein Freund, aber mit der Wahrheit bin ich noch mehr befreundet).

Die Geschichte beginnt am Samstag, dem 12. Mai. Da hat offenbar am Vortag ein ungenannter, aber anscheinend ganz mutiger „hoher Polizeiführer“ beim Abendblatt und bei der Morgenpost angerufen und die Geschichte der angeblichen Bestrafung des Polizeisprechers Fallak erzählt. Obwohl immerhin noch die Morgenpost bei Herrn Fallak anruft, und dieser die Story nicht bestätigt, schreiben beide Zeitungen Kommentare, in denen der Wahrheitsgehalt der Story unterstellt wird und daraus politische Forderungen abgeleitet werden.

Polizeiführung, Herr Fallak selbst und der Innensenator erklären am Tag danach, dass die Story nicht stimmt, aber das hat nur die Schlagzeilen zur Folge: „Typischer Reflex“, „Wrocklage streitet alles ab“, „Jetzt sind die Medien schuld“ oder den schönen Satz im Abendblatt: „An den Vorwürfen ändert das nichts, auch wenn sie nur schwer zu beweisen sind.“ Mein Vorschlag: Dieser Satz muss ins Lehrbuch für angehende Journalisten unter der Überschrift: „Wie organisiere ich am schlauesten einen Rufmord?“

Dann schlägt die hohe Stunde der „mutigen Anonymen“: Bild gibt Aussagen eines „Polizeiführers“ wieder, „der anonym bleiben will“. Im Abendblatt meldet sich auch einer, dessen Karriere angeblich blockiert worden ist. „Auch er möchte aber ungenannt bleiben.“ Das Abendblatt verteilt dazu schon Orden: „Nachdem Hamburger Polizeiführer, wenn auch noch anonym, jetzt mutig an die Öffentlichkeit gegangen sind.“ Solche mutigen „Führer“ haben wir uns immer gewünscht. Ein kleines Missverständnis liegt freilich bei den Journalis-ten vor: Ein Telefon ist nicht die Öffentlichkeit, auch wenn es in einer Redaktion steht. Öffentlichkeit wird vielmehr hergestellt durch ein öffentlich, nicht anonym geäußertes Wort eines Menschen.

Im Deutschen gibt es dazu schon seit 200 Jahren ein Sprichwort: „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“

In Bild wird weiter „gemunkelt“, in der Morgenpost wird dem Polizeipräsidenten ein Satz untergeschoben, den er „gesagt haben soll“. Alles so, dass nichts fest behauptet wird, damit auch nichts zurückgenommen werden muss, aber immer was hängen bleiben soll. Und als in all dem Wust von Unterstellungen und anonymen Vorwürfen, die ja längst das Ansehen aller anonymen und nicht-anonymen „Polizeiführer“ beschädigten, die Innenbehörde und Polizeiführung alle wichtigen Beförderungen und Versetzungen um einige Monate bis nach der Wahl verschieben, da hat das auch keinen Zweck mehr: „Es ist längst zu spät.“ (...)

Am 15. Mai erscheint in Bild ein Artikel über die Büroleiterin des Innensenators, der an Chauvinismus und Frauenfeindlichkeit kaum zu übertreffen ist. Die Morgenpost kann da nicht fehlen, und zieht einen Tag später nach.

Am nächsten Tag wird die Uralt-Story des Professor Merten von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung aufgewärmt. Da hat die Fachhochschule etwas beschlossen, was intern großen Streit verursacht. Und die zuständige Behörde führt es aus. Wie wären wohl die Schlagzeilen, wenn der Senator einen Beschluss der Fachhochschul-Leitung außer Kraft setzen würde?

Dann kommt der Hauskauf: Am 22. Mai erscheint in der Welt ein Bild mit einem Aktenordner „Wrocklage Hauskauf Uhlenhorst“. Der soll, so der dazugehörige Artikel, bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt und dann widerrechtlich von Wrocklage in einer Privatangelegenheit verwendet worden sein. Er soll also sein Amt zur Verfolgung privater Ziele verwendet haben. Es hat aber diesen Ordner nie gegeben. Das Dezernat Interne Ermittlungen (D.I.E.) teilt am selben Tag Folgendes mit: „Ein Aktenordner Wrocklage Hauskauf Uhlenhorst ... ist bei einer Durchsuchung im Rahmen eines ... Ermittlungsverfahrens am 7.8.1997 nicht sichergestellt worden.“

Obwohl die Erklärung von D.I.E. von niemandem bestritten wird, wird auch die erstgenannte Unterstellung weiter verbreitet. Dabei kann schon ein oberflächliches Lesen des Artikels deutlich machen, dass Wrocklage eine gewaltige vorauseilende Phantasie und überdurchschnittliche kriminelle Energie hätte haben müssen, wenn er das getan hätte, was ihm in diesem Artikel vorgeworfen wird.

Dann aber hat Hartmut Wrocklage wirklich einen schweren Fehler gemacht. Er hat geglaubt, dass ihm als Senator dieselben Mittel zur Verfügung stehen, die jedem von uns zur Verfügung stehen, wenn es darum geht, sich gegen Unterstellungen und Verleumdungen zu wehren, nämlich zivilrechtlich gegen die Verbreiter solcher Nachrichten vorzugehen. Jeder von uns darf das, ein Senator aber kann sich sowas nicht leisten.

Denn dann kommt sofort die Landespressekonferenz und beanstandet dies als einen „inakzeptablen Versuch, kritische Stimmen“ zu unterdrücken. Wo war denn die Landespressekonferenz in den Wochen vorher, als es galt, das Gebaren der Presse zu beurteilen? (...)

(Gekürzte Fassung einer Rede, gehalten in der Bürgerschaft am Mittwochabend, 30. Mai; vollständige Fassung: www.hamburg.de/gal-fraktion