Jeder Zweite will Neuwahlen

Der Ton in der CDU-SPD-Koalition wird rauer. Wowereit hält Sparkonzepte der Union für „unseriös“. Derweil plädieren laut Umfragen rund 50 Prozent der Berliner für Neuwahlen. FDP liegt bei 7 Prozent

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Der Koalition von CDU und SPD schallt der Ruf nach dem Ende ihres Regierungsbündnisses und nach Neuwahlen immer heftiger entgegen. Sowohl in Meinungsumfragen als auch von Politikern in Land und Bund wird gefordert, den Senat wegen der Bankenkrise in die Wüste zu schicken. Zugleich wird der Ton zwischen CDU und SPD zwei Tage vor der entscheidenden Sitzung über die Sparmaßnahmen des mit zusätzlichen 6 Milliarden Mark belasteten Haushalts schärfer. SPD-Fraktionsvorsitzender Klaus Wowereit erteilte den Vorschlägen aus der CDU-Fraktion für Einsparungen bei der U 5, den Bäderbetrieben und bei Landesimmobilien eine klare Absage. „Die große Koalition wird die Krise nur überstehen, wenn sie die Kraft hat, Strukturentscheidungen zu treffen“, sagte Wowereit.

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa plädieren 49 Prozent der Berliner für einen vorzeitigen Urnengang. In einem von Emnid in Auftrag gegebenen Stimmungsbild fordern sogar 58 Prozent der Beteiligten die Auflösung des Parlaments. Allerdings glauben nur wenige der Befragten, dass eine neue Regierung die Finanzkrise der Stadt leichter bewältigen könnte als der derzeitige Senat.

Zugleich ermittelten die Umfrageinstitute, dass die SPD bei den Wählern aktuell rund 30 Prozent Stimmenanteil hätte. Die CDU käme auf 31 Prozent (Forsa) oder 33 Prozent (Emnid). PDS und Grüne verbuchen bei Forsa jeweils 14 Prozent, die PDS klettert bei Emnid sogar auf 16 Prozent der Stimmen. Nach der jüngsten Forsa-Umfrage würde die FDP mit 7 Prozent sogar wieder ins Landesparlament einziehen. Bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus 1999 erzielte die CDU 40,8, die SPD 22,4, die PDS 17,7 Prozent der Stimmen, die Grünen erreichten 9,9 Prozent.

Als Folge der Bankenkrise legte an Pfingsten SPD-Generalsekretär Franz Müntefering dem Regierenden Bürgermeister Diepgen (CDU) „persönliche Konsequenzen“ nahe. Der Regierungschef sei wegen seiner Nähe zu dem früheren CDU-Fraktionschef und Auslöser der Finanzmisere für die Krise mitverantwortlich, so Müntefering.

Auch die grüne Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig erneuerte ihre Rücktrittsforderungen an Diepgen und plädierte für Neuwahlen in der Stadt. Unterstützung erhielt sie von Petra Pau, PDS-Landeschefin, die mit einem Volksbegehren Neuwahlen erzwingen will.

Uneinigkeit beherrscht dagegen die Spardebatte in der Koalition. SPD-Fraktionschef Wowereit kritisierte gestern ein vom CDU-Haushaltsexperten Alexander Kaczmarek vorgelegtes Sparkonzept. Der ins Spiel gebrachte Verkauf der Bäderbetriebe sei nicht nur „unseriös“, so Wowereit. Auch die Anregung, Dienstgebäude zu verkaufen, sei „zu kurz gegriffen“. Ziel müsse hingegen ein besseres Gebäudemanagement mit besserer Flächennutzung und kostengünstigerer Energieversorgung sein, sagte Wowereit.

Der neue CDU-Fraktionschef Frank Steffel wies die Kritik zurück und warf der SPD „unberechenbares, destruktives Verhalten“ vor. Zur Forderung der Opposition nach Neuwahlen sagte Steffel, die CDU fürchte die Entscheidung nicht.

Um die immer tiefer werdenden Gräben zwischen den Regierungspartnern zu kitten, wollen sich Diepgen und SPD-Landeschef Peter Strieder heute zu einem Spargipfel treffen. Einen Tag vor dem Koalitionstreffen soll geklärt werden, ob sich die Strategie der CDU, möglichst schnell das Haushaltsloch zu schließen, und die der SPD eines langfristigen Finanzplans überhaupt miteinander verbinden lassen.

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