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Schlacht um die Lufthoheit

Zu viel Kirmes, zu wenig Inhalte: Auf dem „Radio Day 2001“ übte sich die Branche brav in Selbstkritik – und buhlte trotzdem mit Bodypiercing, Bier und Nenas „99 Luftballons“ um Werbetreibende

aus Köln PASCAL BEUCKER

Der junge Mann hatte es eilig. Sichtlich genervt wartete der gestylte Mittdreißiger auf ein Taxi, das ihn am frühen Abend vom Ort des Grauens wieder in die Zivilisation bringen sollte. „Da wollen wir immer absolut im Trend sein, und dann so was“, schimpfte der Radiomacher: „Ausgerechnet Nena!“ Dabei war der Topact auf der Abschlussparty des Radio Day 2001 durchaus passend gewählt. Denn so überdreht wie sich das traurige Überbleibsel aus längst verblichenen NDW-Zeiten präsentierte, so präsentierten sich auch die heutigen neuen deutschen Wellen auf der wichtigsten Branchenveranstaltung des Radio-Business.

Zum siebten Mal luden die beiden Vermarkter ARD Sales & Services (AS&S) und Radio Marketing Service (RMS) am vergangenen Donnerstag Werbungtreibende und Mediaplaner in die Kölner Messe. Und alles sollte wieder besser werden. Denn nach dem letzten Meeting im Herbst 2000 war der Radio Day arg in die Kritik geraten. Zu viel Kirmes, zu wenig Inhalte, beklagten nicht wenige. Und die ARD-Anstalten plädierten gar für eine einjährige Besinnungspause. Sie verspürten keine Lust mehr, mit den lärmenden Privatsendern um die Lufthoheit kämpfen zu müssen.

„Das Showgeschäft hat überhand genommen“, kritisierte AS&S-Geschäftsführer Achim Rohnke. Zudem hatte die Verlegung des Radio Day vom angestammten Platz im Mai in den Oktober – und damit dichter an die herbstlichen Planungsrunden der Werbewirtschaft heran – einen unangenehmen Nebeneffekt: Angestachelt von höheren Reichweitenzahlen hatten die Radiovermarkter ihre Werbepreise erhöht und sahen sich nun einer unvorteilhaften Tarifpreisdiskussion ausgesetzt. Mit der Folge, dass sie zum Teil noch auf der Messe Rückzieher ankündigen mussten.

Die neue Bescheidenheit

„Zurück zu den Wurzeln“ war diesmal also die Devise: Zurückverlegung auf den Mai und Wiedereinführung eines Kongress-Programms als Ergänzung zur Messe, um „den Content zurück in die Radiovermarktung zu bringen“ (Rohnke). Das Radio sollte dadurch wieder dem Kundenklientel in seiner Gesamtbreite angeboten werden. So konnten auch die Öffentlich-Rechtlichen dazu bewegt werden, sich weiter zu beteiligen. Allerdings verzichteten sie auf die direkte Konfrontation mit der privaten Konkurrenz und beschränkten sich auf einen Stand in der Empfangshalle.

Dass die ARD-Anstalten dem Radio Day treu geblieben sind, hat allerdings auch noch einen weiteren Grund: das begrenzte Werbepotenzial. Denn obwohl sich die durchschnittliche Hördauer in den letzten zehn Jahren von etwa 45 auf über 200 Minuten täglich erhöht hat, liegt der Werbemarktanteil des Radios in der Bundesrepublik bei gerade mal 3,7 Prozent – gegenüber 12,6 Prozent in den USA. So war der Radio Day von Anfang an der Versuch eines Gattungsmarketings, von dem sowohl der private als auch der öffentlich-rechtliche Hörfunk profitieren soll.

Die Veranstalter zeigten sich mit der Neupositionierung des Radio Day zufrieden. Die Erweiterung um einen Kongressteil habe sich „bestens bewährt“, so Rohnke und RMS-Geschaftsführer Lutz Kuckuck. Offensichtlich ist die Branche inhaltlich bescheiden geworden. Denn intellektuell Erhellendes bekamen die rund 4.000 Radio-Day-Besucher auf dem Kongress nicht geboten. So zelebrierten die McKinsey-Mitarbeiter Hajo Riesenbeck und Jens Mueller-Oerlinghausen erwartungsgemäß das Hohelied der Deregulierung, der frühere ARD-Intendant Friedrich Nowottny glänzte mit Bonmots zur „Kommunikation im Multi-Media-Zeitalter“, und Matthias Horx, der sich seit seiner Ausrufung des Endes der Alternativen 1985 für einen „Trend- und Zukunftsforscher“ hält, bediente mal wieder den Zeitgeist.

Immerhin konnte er mit seiner Präsentation des „Konsumenten 2010“ aufs Vortrefflichste unterhalten. In diesem Sinne war der Kongress tatsächlich ein Erfolg.

Wie gut die ARD-Sender allerdings daran taten, sich nicht an der Messe-Kirmes zu beteiligen, dürfte sich inzwischen auch dem „F.A.Z. Business Radio“ erschlossen haben. Den kleinen Ableger der Zeitung, hinter der sich immer ein kluger Kopf verbergen soll, hatten die Organisatoren ausgerechnet neben einen Hard- Rock-Sender platziert – ein wunderbarer Kontrast.

Piercing auf der Messe

Das gediegene und ruhige Ambiente der Frankfurter konkurrierte mit einem einmaligen Angebot am Nachbarstand: Bodypiercing direkt auf der Messe. Aber es hätte noch schlimmer kommen können. Immerhin musste sich F.A.Z. Business Radio nicht unmittelbar mit den massenhaft verteilten 5-Liter-Bier-Fässchen eines Jugendsenders oder der Geldverschenk-Aktion des Hit Radios FFH messen („Wir sparen am Stand, aber nicht am Kunden“).

So war auch der diesjährige Radio Day eigentlich, wie er immer war: Wüste Promotion ersetzte bei den meisten Privatsendern programmatische Originalität. Wie könnte es auch anders sein – schließlich wird die „Schlacht um die Herzen der Hörer“, so Antenne-Bayern-Marketingleiter Oliver Hey, „nicht mit objektiver Produktqualität entschieden werden“. Entscheidend sei vielmehr nur, „welches Lebensgefühl und welche Werte“ ein Sender vermittelt.

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